Familie Funke sitzt vor dem Fernseher und schaut eine Corona-Sondersendung.
„Immer, wenn der Robert von dem Koch-Studio was erzählt, fuchtelt jemand mit den Händen rum“, staunt Lena.
„Der Mann da heißt nicht Robert, sondern er arbeitet für ein Institut, das nach Robert Koch benannt wurde“, sagt Herr Funke.
„Und der ist Koch?“, fragt Lena.
„Nein, Robert Koch war Arzt. Der hat rausgekriegt, dass Bakterien krankmachen können und wie man sie bekämpft. Musste ich für die Schule was drüber lesen“, sagt Ben.
„Und die Frau, die mit den Händen fuchtelt, ist eine Gebärdendolmetscherin. Für Leute, die nicht hören können“, erklärt Frau Funke.
„Mir scheint ja, Corona macht auch taub. So viele Gebärdendolmetscher habe ich noch nie im Fernsehen gehen.“ Herr Funke grinst.
„Erzähl doch nicht so einen Blödsinn“, rüffelt Frau Funke ihren Mann.
„Wann dürfen wir wieder Opa besuchen?“, fragt Lena.
„Dazu haben die noch nichts gesagt“, sagt Herr Funke.
„Das ist ja wie warten auf Weihnachten“, stöhnt Ben.
„Da kann man wenigstens jeden Tag ein Türchen aufmachen“, seufzt Lena. „Schade, dass es keinen Corona-Kalender gibt.“
„Dann basteln wir uns halt einen. Oder ne, ich hab eine viel bessere Idee.“ Ben schaut seinen Papa an. „Kannst du uns eine Webseite machen?“
„Ja, könnte ich schon, aber wozu?“, fragt Herr Funke.
„Wir machen einen Corona-Adventskalender im Internet. Für Oma und Opa, bis wir uns wieder treffen können!“ Ben strahlt.
„Wie stellst du dir das vor?“, fragt Frau Funke.
„Wir machen jeden Tag ein Video und laden es hoch. Dann können Oma und Opa so lange Türchen öffnen, bis wir uns in echt sehen können“, sagt Ben.
„Ich will aber nicht, dass andere Leute euch im Internet sehen können“, sagt Frau Funke sehr entschieden.
„Man kann es so einrichten, dass es passwortgeschützt ist. Und nur Oma und Opa haben das Passwort, um die Videos zu öffnen“, sagt Herr Funke.
Gesagt, getan. Ben und Lena nehmen jeden Tag ein Video auf. Sie erzählen Witze, zeigen Turnübungen, Ben flötet „O du fröhliche“ mitten im Mai in kurzen Hosen und verschluckt sich dabei vor Lachen, sie zeigen Oma und Opa, wie man Himmel und Hölle bastelt, Lena tanzt etwas vor, sie machen die Gebärdendolmetscher nach und lassen Oma und Opa raten, was sie gesagt haben könnten, sie führen ein Theaterstück mit ihren Kuscheltieren vor; täglich fällt ihnen etwas Neues ein.
Oma und Opa schreiben jeden Tag eine Postkarte. Darauf steht, was ihnen am neuen Video gut gefallen hat. Eines Tages kommt eine besondere Postkarte.
Erst steht etwas über das Video von gestern, dann aber geht die Postkarte weiter. Aufgeregt liest Ben Lena vor: „Es hat Lockerungen gegeben. Wollt ihr uns morgen Nachmittag besuchen kommen? Aber wir müssen alle Masken tragen. Oma backt einen Käsekuchen.“
Am nächsten Nachmittag sind Ben und Lena aufgeregt wie am Heiligen Abend. Neun Wochen haben sie Oma und Opa nicht gesehen.
„Lasst uns hinten durch den Garten reingehen,“ sagt Herr Funke. „Da können wir besser Abstand halten.“ Sie ziehen sich ihren Masken an.
„Ich kann nicht mehr atmen!“, beschwert sich Lena.
„Hände hoch!“, ertönt da eine tiefe Stimme. „Das ist ein Überfall!“
Opa ist im Gartentor aufgetaucht, trägt auch eine Maske und macht natürlich wieder Quatsch.
„Wie gerne würde ich euch in den Arm nehmen!“, sagt Opa. „Aber da müssen wir wohl noch ein bisschen warten!“
„Da sind ja meine Filmstars!“ Omas Augen strahlen über dem Maskenrand.
„Du siehst aus wie der Nikolaus, Ben! Was ist denn in deinem Sack?“, fragt Opa.
Ben trägt einen großen, blauen Müllsack über der Schulter.
„Lena und ich haben was gebastelt. Wir wollten nicht, dass wir nur die blöden Masken tragen.“
Er holt sechs Pappkronen aus dem Sack, kunstvoll bemalt, mit Glitzer und Steinen verziert.
„Wir sind doch die Könige!“, sagt Lena.
„Corona heißt ja Kranz oder Krone. Aber wir wollen die Könige sein, nicht das blöde Virus. Deshalb haben wir für jeden eine Krone gebastelt.“ Ben verteilt die Kronen.
Alle stehen nun mit Maske, Krone und Abstand im Garten herum.
Lena schaut sich um. „Schade, dass der Osterhase jetzt keine Eier mehr versteckt hat!“
„Schaut lieber mal nach“, Opa lächelt verschmitzt, „vielleicht findet ihr ja doch welche.“
„Pfui! Wenn die seit Ostern da liegen, dann sind das Stinkbomben und keine Ostereier.“ Ben hält sich die Nase zu.
„Und wenn der Osterhase sie erst heute Nacht gelegt hat?“ Opa breitet fragend die Arme aus.
„Woher weiß der Osterhase, dass wir bei euch sind?“, wundert sich Lena.
„Bestimmt hat er Internet. Ihr habt heute im Video erzählt, dass ihr kommt“, sagt Oma.
„Aber nur ihr habt das Passwort.“ Lena schüttelt ungläubig den Kopf.
„Osterhasen kennen alle Passwörter“, sagt Ben und zwinkert Oma und Opa zu. Dann geht er in die Hocke und zeigt auf den blühenden Rhododendron. „Ich glaube, ich habe schon das erste Ei entdeckt!“
Tanja Krug
Wie schön, wieder etwas Neues von Dir zu lesen. Wenn ich von Familie Funke lese, frage ich mich manchmal, ob ich so kinderlos nicht vielleicht doch etwas verpasst habe. Wie spannend in so eine ganz andere Familienwelt hineinschauen zu dürfen.