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Straßenverkehr vs. Fußball

 

Eigentlich gehe ich nur zum Fußball. Mehr brauche ich nicht. Ich bin bei jedem Spiel meines Teams dabei. Auch auswärts, klar. Seit Kurzem habe ich eine neue Freundin. Die geht nicht zum Fußball, sie nimmt aber gerne am Straßenverkehr teil.
Komm doch mal mit in den Straßenverkehr, sagt sie.
Wenn du mit zum Fußball kommst, sage ich.
(Was man nicht alles macht, wenn man eine neue Freundin hat.)
Geht klar, sie klimpert mit den Augen. Jetzt gleich?
Mein Team spielt erst morgen, also spricht nichts dagegen.
Geht klar, sage ich.
Meine Freundin verschwindet Richtung Keller. Strahlend kommt sie mit Fahrrädern und zwei Helmen aus dem Aufzug.
Zögerlich stülpe ich die runde Schüssel über meinen Kopf. Lachend zückt sie ihr Handy, fotografiert und zeigt mir das Bild: Calimero schaut ziemlich unglücklich aus der Wäsche.
Muss der Helm sein?, grummele ich.
Besser ist das, sagt sie und radelt los.
Zwei Halbzeiten später steht es noch unentschieden, das Spiel geht in die Verlängerung. Mir brennen die Oberschenkel, aber ich habe einen ersten Überblick. Zwei Mannschaften dominieren die Liga: Autos und Fahrräder.
Die Spielidee ist eigentlich für alle gleich: möglichst zügig, sicher und umweltschonend von A nach B zu kommen. Uneigentlich geht es darum, Spaß zu haben, sich zu profilieren, mit hohem Puls und vollem Einsatz schneller als der Gegner und erstaunlicherweise auch als der Mitspieler zu sein.
Das Spiel lebt von den Überraschungsmomenten. Blinken oder Handzeichen geben ist absolut peinlich und überflüssig, jeder weiß ja, wo er hin möchte. Haken schlagen, überraschende Dribblings, Richtungswechsel, Tempo verschleppen, dann den Sprint anziehen: das entscheidet hier über Sieg oder Niederlage. Es ist absolut kein Mannschaftsspiel, jeder spielt mit Ellenbogeneinsatz für sich, jeder will die Torjägerkanone, die Mannschaftsleistung interessiert keinen, ein Assist gibt keine Punkte.
Deshalb braucht man auch viele Schiedsrichter. Die tragen nicht schwarze, sondern blaue Trikots. Krasserweise sind sie bewaffnet, um sich vor den Spielern zu schützen. Sie fahren respektheischend mit Sirene und Blaulicht übers Spielfeld. Trotzdem ist alles wie in der Bundesliga. Auch bei völlig offensichtlichen Fouls wird hemmungslos mit den Schiedsrichtern diskutiert. Einige Spieler werden dann vorzeitig unter die Dusche geschickt, oft wird auch Blutdoping nachgewiesen, was eine sofortige Sperre zur Folge hat.
Am Ende der Saison wird in Flensburg die Abschlusstabelle veröffentlicht. Dann entscheidet sich, wer in der nächsten Saison noch erstklassig spielen darf oder in die 2. Liga des öffentlichen Nahverkehrs absteigt. Die Gedopten müssen in der Sommerpause ein Intensivtrainingslager besuchen, um den nächsten Laktattest zu bestehen.

Die Spieler sind häufig verletzt. Viele spielen mit hohem, oft unfairem Einsatz, Verletzungen des Gegners werden billigend in Kauf genommen. Dr. Müller-Wohlfahrt kann kaum eine ruhige Minute auf der Bank sitzen, manche Spieler können nur mit der Trage vom Feld transportiert werden.
Die Schiedsrichter versuchen das Spiel zu regeln oder wenigstens zu beeinflussen. Am Spielfeldrand stehen deshalb abwechslungsreich geformte Taktiktafeln aus Blech. Mancher integriert diese gut gemeinten Anregungen in sein Spiel, die meisten verfügen aber über genug taktische Erfahrung, um ohne diese Empfehlungen siegen zu können. Am wenigsten gelten die Blechschilder und fröhlich die Farbe wechselnden Lichtorgeln für die Radfahrer, die nicht mal eine Nummer auf dem Trikot haben. Somit können sie auch nicht so leicht vom Schiedsrichter verwarnt werden.
Ich betrachte die dicken Geschosse, mit denen die Spieler der Automannschaft über das Spielfeld donnern. Gerne parken sie damit auf Radwegen, um die gegnerische Grundordnung zu stören oder biegen ohne Schulterblick rechts ab, ein sehr verbreitetes taktisches Foul. Beliebt ist auch das Spiel: Catch a biker, das sich mit jeder beliebigen Autotür spielen lässt.
Den Vereinen muss es gut gehen. Die zahlen ja fette Gehälter, bestaune ich die Schlitten.
Nicht zwingend, sagt meine Freundin. Manche haben ihr Spielgerät nur geleast, andere bekommen von ihrem Verein aus Dankbarkeit, dass man für sie spielt, ein Auto ausgeliehen.
Und die mit den Fahrrädern?, frage ich. Sind das die armen Vereine und die Absteiger?
Nicht unbedingt. Für Fahrräder kann man heute auch Unsummen ausgeben, aber das sind gerne auch mal Spieler aus dem oberen Tabellendrittel, die sich moralisch überlegen fühlen wollen.

Ein Radfahrer im feinen Zwirn fährt bei Rot über die Fußgängerampel. Ich hab inzwischen kapiert, dass das Foul ist, donnere hinter ihm her und rufe: Tschuldigung, rein aus Interesse: Wieso fahren Sie bei rot?
Aus Sicherheitsgründen, sagt er. Wenn ich bei grün fahre, haben die Autos auch grün. Und raten Sie mal, wer dann toter ist: Der Winkel oder der Radfahrer?
Toter Winkel? Was soll das jetzt schon wieder? Schlägt da der Ball unhaltbar ins Dreieck ein?
Eine Autoschlange steht bewegungslos auf dem Spielfeld. Die Nettospielzeit im Straßenverkehr ist extrem gering, vor allem für die Autos. Meine Freundin nennt diese unattraktive Spielverzögerung Stau.
Das Auto neben mir hat dicke Stollenreifen, viel Bodenfreiheit, vorne die Andeutung eines Kuhfängers: Ein Förster oder Landwirt scheint sich in die Stadt verirrt zu haben. Ich klopfe an die getönte Scheibe, sie fährt runter und ich gebe die Frage weiter: Was ist toter, der Winkel oder der Radfahrer?
Kein Landwirt antwortet, sondern eine gut duftende und geschmackvoll gekleidete Frau.
Mir doch egal, sagt sie, Hauptsache mein Sohn ist in Sicherheit! Sie zeigt auf den Jungen mit Schulranzen neben sich.
Sind Grundschulen nicht immer fußläufig erreichbar?, frage ich verwundert.
Schon, pampt sie zurück, aber bei dem Verkehr? Das wäre doch Wahnsinn!
Ich schaue ihr tief in die Augen und nicke. Wahnsinn! Sie haben ja so Recht!
Ich möchte zurück, sage ich zu meiner Freundin. Das Spiel hat nur Verlierer.
Wie fandest du den Straßenverkehr, fragt sie, als wir wieder bei ihr angekommen sind.
Der Verkehr hat hinten sein „T“ verloren, sage ich resigniert.
Damit haben wir einen neuen Spielstand:
Fußball: Eins!
Straßenverkehr: Nuuulllll!
Danke.
Bitte.

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6 thoughts on “Straßenverkehr vs. Fußball

  1. Uli

    Immer wieder schön und auf den Punkt gebracht !
    Weiter so, ich bin schon auf das nächste Spiel gespannt !
    Da könnte es dann um
    Kleingärtner?
    Beamte ? (Lehrer)
    Politiker ?
    gehen.
    Bin mal gespannt….

    1. Andreas Düll

      Du bringst mich auf Ideen!?
      Vielleicht ein verbeamteter Lehrer, der einen Schrebergarten gepachtet hat und in seiner Freizeit versucht Billard zu spielen…

  2. Stefan

    Wie bei allen deinen Geschichten, kommt einem des Öfteren ein schmunzeln ins Gesicht !
    Sehr schön wie du die Realität mit „ernster Ironie“ darstellst .
    Ich liebe es , danke für den kurzweiligen fröhlichen Moment, weiter so !!

    1. Andreas Düll

      Tja, Augusthitze im Straßenverkehr, das lässt sich nur mit ausreichend Trinkpausen überleben. Vielen Dank für die aufmunternde Rückmeldung!

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