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Der verschwundene Meter

 Ein Krimi für Leser ab 8

Text: Andreas Düll

 

  1. Kapitel: Ein Blasinstrument löst sich in Luft auf
  2. Kapitel: Eine gruselige Entdeckung
  3. Kapitel: Pommes, nicht für Herrn Gomez
  4. Kapitel: Neue Spuren?
  5. Kapitel: Nachbar, Großkotz, Tormaschine
  6. Kapitel: Lattentreffer und Blutblasen
  7. Kapitel: Das Derby
  8. Kapitel: Lachkrampf statt Wadenkrampf
  9. Kapitel: Genau!

 

 

 

 

1. Kapitel: Ein Blasinstrument löst sich in Luft auf

„Käpten, wach auf!“
Meine Decke wird weggezogen. Die Sonne scheint schräg durch die Ritzen des Rollladens. Ist das ätzend hell! Ich vergrabe mich unter dem Kopfkissen. Heute ist doch Samstag, und gestern gab es Sommerferien. Wieso darf ich nicht schlafen?
„Käpten, aufwachen! Ich hab dir was mitgebracht!“
Jetzt kitzeln auch noch Finger meine Fußsohlen, was supergemein ist und verboten gehört.
Vorsichtig tauche ich wieder unter dem Kissen hervor. Mein Rechner im Hirn fährt hoch und kombiniert.
Erstens: Käpten meint mich, denn ich bin der Kapitän meiner Fußballmannschaft.
Zweitens: Die Kitzelhand gehört Mama. Also ist sie vom Flug zurück.
Ich setze mich auf.
„Was hast du mir mitgebracht?“, frage ich und gähne.
„Ein Didscheridu.“ (Die Erwachsenen schreiben nicht Didscheridu, sondern Didgeridoo.)
„Ein was?“
„Ein Didscheridu. Damit machen die Ur-Einwohner in Australien Musik“, erklärt Mama. „Eine Riesen-Flöten-Tröte.“
„Zeig doch mal!“, bitte ich sie.
„Ich hatte heute Nacht mit meinem Gepäck alle Hände voll. Es steht vor der Haustür.“
So schnell wie möglich bewege ich meine müden Knochen zur Tür. Es ist schon großartig, eine Pilotin als Mutter zu haben. Aus der ganzen Welt bringt sie geheimnisvolle Sachen mit.
Ich öffne die Tür. Die Zeitung liegt auf dem Fußabtreter, daneben liegt Sack Zement verflixt noch mal. So heißt die Katze meiner Schwester. Sonst sehe ich nichts.

„Wie sieht ein Didscheridu denn aus?“, brülle ich durchs Haus. Sack Zement verflixt noch mal macht einen Buckel, streckt sich und streicht mir um die Beine.
„Ein Meter lang, dick wie ein Arm, innen hohl und außen Holz“, ruft meine Mutter zurück.
„Und nicht ganz gerade.“
Jetzt steht sie neben mir. Papa taucht aus seinem Büro auf.
„Was brüllt ihr so rum?“, muffelt er. „Ich versuche zu arbeiten!“
Papa hat früher für die Zeitung gearbeitet. Seit der Geburt meiner Schwester ist er zu Hause, weil Mama durch die Welt fliegt. Er schaut nach uns Kindern und schreibt auf Bestellung Gedichte für andere Leute. Deshalb hat er oft schlechte Laune.
„Ich suche einen Reim auf das bescheuerte Wort ‚Kuscheltiger’, und ihr macht so einen Krach!“, beschwert er sich.
„Mist, es ist weg“, sagen Mama und ich gleichzeitig.
„Was ist weg?“, fragt Papa.
„Mama is nich weg.“ Jetzt ist auch noch meine große Schwester aufgetaucht. Sie trägt einen Benjamin Blümchen-Schlafanzug und umarmt meine Mutter.
„Hallo, Julia. Erdrück mich nicht!“, sagt Mama und lacht.
„Der Zeitungsjunge könnte es gewesen sein!“ Ich halte die Zeitung hoch und schwenke das Beweisstück.
„Ach ne, das ist ja eine sensationelle Theorie. Wer sonst sollte die Zeitung gebracht haben? Für den Nikolaus ist es im Juli noch ein bisschen zu früh“, ätzt Papa.
„Kommt heute der Nikolaus?“ Julia schaut meinen Vater mit großen Augen an.
„Nein, mein Schatz. Der kommt doch erst im Winter.“ Papa streicht ihr über den Kopf.
„Unser Sperrmüll wurde heute Morgen abgeholt. Ob die es mitgenommen haben?“, überlegt meine Mutter.
„Von was redet ihr denn die ganze Zeit?“, fragt Papa ungeduldig und eine Spur lauter.
„Von einem Didscheridu. Ich habe eins vom Australienflug mitgebracht und es heute Nacht vor der Haustür stehen lassen“, sagt Mama. „Und jetzt ist es weg!“
„Ach, übrigens: Opa ist gestern gekommen. Der schläft aber bestimmt noch“, sage ich.
„Wieso?“, fragt meine Mutter. „Es ist doch schon nach zehn.“
„Ich war heute Nacht um drei pinkeln. Da brannte im Gästezimmer noch Licht!“, erkläre ich.
„Dann warten wir mit dem Frühstück besser noch ein bisschen“, schlägt meine Mutter vor.

„Ich kann jetzt gar nicht frühstücken, Mama. Ich habe einen Fall zu lösen! Den Riesen-Flöten-Tröten-Fall!“

 

2. Kapitel: Eine gruselige Entdeckung

In Rekordzeit ziehe ich mich an und sitze drei Minuten später auf dem Fahrrad. „Käpten, nimm bitte Julia mit!“, ruft Mama. Oh Mann, auch das noch. Na ja, andere Detektive haben auch ihre Gehilfen. Aber Julia ist was Besonderes, sie ist geistig behindert. Bei ihr fährt der Rechner im Gehirn nicht richtig hoch, oder er stürzt gleich wieder ab. Sie ist ein Downie (sprich: Dauni). Das ist die Abkürzung für das englische „Down Syndrom“. Aber wer Mongo zu ihr sagt, kriegt von mir auf die Nuss. Tut mir leid, da hört der Spaß auf.

Zuerst will ich den Zeitungsjungen checken. Was ich weiß: Er hat einen goldenen Motorroller. Aber welche Strecke fährt er morgens? Ist er für heute schon fertig mit dem Zeitungsaustragen?
Während ich nachdenke, spielt Julia in einer kleinen Pfütze. Es hat doch nicht geregnet, überlege ich. Mein Rechner raucht und Julia schmeißt Steine. Plöpp, platsch, plöpp. Da stand heute Nacht unsere alte Gefriertruhe und taute auf. Heute Morgen wurde sie vom Sperrmüll abgeholt. Eine Tropfspur führt über unsere Einfahrt zur Straße. Jetzt weiß ich, wie ich die Männer vom Sperrmüll finden kann. Vielleicht haben die ja das Didscheridu mitgenommen!
Los Julia, steig auf!“, rufe ich. Julias Fahrrad hat hinten zwei Räder. Damit kippt sie auch ohne schnellen Rechner im Kopf nicht um.
„Wo fahren wir hin?“, fragt Julia.
„Wir suchen eine Riesen-Flöten-Tröte. Gib Gas!“

Die Spur verdunstet schon, wir müssen uns verdammt beeilen. Der Zeitungsjunge kommt also später dran. Die Tropfen führen aus unserer Straße heraus und am Einkaufszentrum vorbei. Jetzt werden die Tropfen größer und dunkler! Wir kommen in das Industriegebiet. Julia fährt auf dem Bürgersteig, auch wenn sie mit ihren zwölf Jahren schon längst auf der Straße fahren müsste. Sie strahlt und winkt allen Leuten zu, klingelt ununterbrochen und singt „Alle meine Entchen“. Die Verbrecher im Umkreis von zehn Kilometern zittern bestimmt schon. Ich hab da eine megacoole Assistentin, ehrlich wahr.
Vor einer Würstchenbude parkt das Sperrmüllauto. Es hat eine offene Ladefläche. Hinten aus der Ladeklappe tropft es. Das muss unsere alte Gefriertruhe sein. Die Müllmänner hauen sich im Stehen eine Currywurst mit Pommes rein. Die Würste werden in die Dünndärme von Schafen gefüllt. Kam gestern im Fernsehen. Bäh, igitt! Ich als Vegetarier bekomme eine Gänsehaut. Aber solange die ihre gefüllten Schafsdünndärme essen, können wir in Ruhe ihr Auto untersuchen.
„Julia, jetzt mal nicht singen!“ Ich halte mir mit dem Zeigefinger den Mund zu, als wir die Räder unter einem Baum abstellen.
Wir schleichen uns an und wagen einen Blick auf die Ladefläche. Da steht unsere Gefriertruhe. Aber die Sperrmüller waren heute auch schon bei anderen Häusern. Holzbretter, ein rostiger Kinderwagen, ein Staubsauger, zwei ekelfleckige Matratzen. Alles kreuz und quer und noch viel mehr. Aber kein Didscheridu!
„Julia, sag mir, wenn jemand kommt!“

Sie nickt und ich klettere auf die Ladefläche. Ein Didscheridu ist schmal, hat Mama gesagt, also muss ich unter das Gerümpel schauen. Ich balanciere über den Schrott, rutsche wie ein Skifahrer ein glattes Regalbrett runter und krache in eine alte Kommode. Neben der Kommode liegt ein muffiger Teppich mit Blümchenmuster. Noch etwas benommen vom Zusammenprall lupfe ich den Teppich: Ein Skelett grinst mich an! Da kann sogar der coolste Ermittler aus den Latschen kippen. Ich schreie, schreie laut und lang. Im gleichen Augenblick fährt ein Güterzug vorbei: Mein Schrei geht im Geratter unter. Julia schaut mich über die Ladewand an und grinst wie das Gerippe. Als der Zug vorbei ist sagt sie: „Knochenmann fährt Rollschuh.“
Mit angehaltenem Atem hebe ich den Teppich erneut an und wage einen zweiten Blick. Drähte halten die Knochen zusammen. Das Knochengerüst steht auf einem fahrbaren Ständer. Moment! So was habe ich doch schon in der Schule gesehen. Frechheit! Mich so zu erschrecken! Ein Gerippe aus Plastik mit Rädern dran.
Ich spähe über die Ladekante zu den Müllmännern.
Sie haben mich nicht bemerkt und schieben sich die letzten Pommes in den Mund. Jetzt muss ich mich beeilen. Ich grabe mich durch das restliche Gerümpel. Kein Didscheridu, Fehlanzeige!
Julia quengelt: „Will Pommes!“, während ich über die Ladekante klettere.
„Ich muss gucken, ob ich Geld dabei habe“, sage ich. Mein Bauch knurrt auch.
Ich krame in meiner Fahrradtasche. Zwischen Kamera, Lupe, Notizblock und den Plastikbeuteln für Beweisstücke klimpern zum Glück auch ein paar Euros. Das müsste reichen. Wir gehen zum Imbissstand.

 

3. Kapitel: Pommes, nicht für Herrn Gomez

„Zweimal Pommes bitte“, bestelle ich.
„Zweimal Pommes“, wiederholt der Würstchenverkäufer, „aber nicht für Mario Gomez.
„Nein, nicht für Mario Gomez, für uns“, sage ich.
Der Mann scheint ein Scherzkeks zu sein. Da sehe ich auf dem Tresen eine Zeitung liegen. Die gleiche Zeitung, die wir zu Hause auch lesen. Mein Rechner fährt wieder hoch.
„Wie bekommen sie die Zeitung?“, frage ich den Würstchenmann.
„Mal gerollt, mal flach!“, sagt er und zwinkert mit einem Auge.
„Ich meine, wie bekommen sie die Zeitung zugestellt?“, frage ich genauer.
„Zugestellt? Nein, eher zugelegt, auf die Fußmatte. Oder zugesteckt, dann in den Briefkasten.“ Jetzt zwinkert der Würstchenmann mit beiden Augen. Ich wusste es schon lange, zuviel Wurst schadet dem zentralen Rechner.
„Wer steckt sie in ihren Briefkasten?“ Ich mache einen letzten Versuch.
„Na, der Zeitungsjunge natürlich. Der mit dem goldenen Motorroller!“
„Gold“ sagt Julia und in meinen Ohren klingelt es. Wir haben wieder eine Spur!
„Kennen sie den?“, frage ich möglichst einfach.
„Natürlich, Simon wohnt doch hier nebenan“, antwortet er überraschend klar.
„Das ist ja FANTAsTISCH, deshalb nehme ich noch zwei Fanta mit zum Tisch!“ Jetzt zwinkere ich dem Würstchenmann zu.
Er glubscht mich an wie ein kurzsichtiger Goldfisch und bekommt den Mund nicht mehr zu. Dann gießt er zwei Gläser voll Fanta und reicht sie uns über die Theke. Ich stelle mich so mit meiner Limo, dass ich Simons Haus im Blick habe. Angenehmer kann man keinen Verdächtigen beobachten. Jetzt heißt es abwarten und Tee trinken. Oder halt Fanta.

Das Warten lohnt sich. Simon kommt aus dem Haus. Er trägt eine Sporttasche in der Hand und eine dünne, längliche Tasche auf dem Rücken. Bingo, der Fall ist gelöst. Jetzt sind Taten gefragt.
Simon hat breite Schultern, ist zwei Köpfe größer als ich und schon mindestens 16. Sonst dürfte er nicht Roller fahren. Gerade schnallt er die Sporttasche auf den Gepäckträger, dann setzt er den Helm auf und klappt das Visier runter. Verdammt, gleich ist er weg. Und mit ihm die Riesen-Flöten-Tröte. Wie schaffe ich es bloß, in die längliche Tasche zu schauen? Und wenn er den Diebstahl abstreitet? Egal, ich renne los, Julia hinter mir her. Simon startet den knatternden Motor und dreht ihn im Leerlauf hoch. Da kommt mir im Rennen eine geniale Idee.
„Wir haben gerade gewettet, was in deiner Tasche auf dem Rücken ist“, brülle ich gegen das Geknatter an.
„Was ist?“ Simon stellt den Motor ab und klappt sein Visier hoch.
Ich wiederhole brav meinen Spruch.
„Und, was habt ihr getippt?“, fragt Simon. Er lächelt und scheint sich völlig sicher zu fühlen.
„Ich glaube, da ist ein Didscheridu drin!“, sage ich.
„Und du?“ Simon schaut Julia an.
„Da ist ein Elefant drin!“, sagt Julia.
Simon schaut erstaunt und sagt: „Leider liegen beide Kandidaten daneben. Da ist nicht mal ein Elefantenrüssel drin. Ich muss jetzt los.“
Er startet seinen Motor erneut. Aha, der Dieb will fliehen. Julia greift nach der länglichen Tasche.
„Zeig mir den Rüsselelefant!“, bettelt sie.
„Na gut, ihr Nervensägen.“ Simon stellt den Motor wieder ab und nimmt die schmale Tasche vom Rücken. Er öffnet den Reißverschluss. Was er rausholt ist hölzern, unten gebogen und oben mit Leder umwickelt.
„Das ist ein Hockeyschläger. Ihr beide habt die Wette verloren.“
„Kein Elefant“, sagt Julia und lacht.
„Ich muss jetzt echt los. Mein Training beginnt in zehn Minuten!“
Es knattert und wir sehen den goldenen Roller von hinten.
Was bleibt, ist eine stinkige Benzinwolke. Und ein Verdächtiger weniger.

 

4. Kapitel: Neue Spuren?

Die Suche ist schwieriger, als ich dachte. Genau genommen weiß ich gar nicht, was ich suche. Mir fehlt ein Foto oder ein Steckbrief.
Ein Meter lang, aus Holz und innen hohl, na toll. Wir radeln planlos durch die Stadt. Der Radweg führt geradeaus, das Auto neben uns will nach rechts abbiegen. Es ist ein weißer Kombi, „Sanitär-Schmitt“ steht darauf. Der Fahrer sieht uns und müsste uns zuerst fahren lassen. Das ist ihm aber egal. Er biegt einfach ab. Ich kann im letzten Moment noch bremsen und reibe dabei einen Meter Gummi auf den Radweg. Das Auto stoppt auch mit Gequietsche. Mein Vorderrad steht einen Zentimeter vor seiner Beifahrertür. Dann kracht Julia hinten in mich rein und schiebt mich gegen das Auto. Sie lacht sich schlapp und kippt dabei mit ihren drei Rädern noch nicht mal um.
„Kannst du nicht aufpassen?“, brüllt der Autofahrer zum Fenster raus.
„Wir haben Vorfahrt!“, brülle ich zum Fenster rein.
„Sei nicht so frech!“, tönt es zurück.
Oh Mann, mit so einem muss man gar nicht weiter reden. Mein Blick fällt durch das Fenster auf die Ladefläche des Autos.
Da liegt etwas. Länglich, ungefähr einen Meter lang, innen hohl. Auch das noch. Erst ein Didscheridu klauen, dann Radfahrer über den Haufen semmeln. Er sieht, dass ich sehe, was hinten in seinem Laderaum liegt.
„Pass demnächst besser auf!“, ruft er und fährt los, seine Reifen quietschen schon wieder.

„Julia, warte hier auf mich!“ Ich springe aufs Rad und jage ihm im 21. Gang nach. Trotzdem wird sein Vorsprung immer größer. Er ist bestimmt schon ein paar hundert Meter weg. Da muss er an einer roten Ampel stoppen. Hoffentlich kann ich ihn einholen. Ich strampele wie ein Irrer, meine Beinmuskeln werden eisenhart und ich schnaufe wie eine rostige Dampflok. Gerade springt seine Ampel auf Gelb, als ich den Kombi erreiche. Ich hämmere ans Beifahrerfenster. Das Fenster geht auf.
Bist du verletzt, Junge?“, fragt der Fahrer. Jetzt klingt er nicht mehr pampig, sondern besorgt. „Ich dachte, dir wäre nichts passiert!“
„Mir geht es gut“, beruhige ich ihn schnaufend. „Ich muss nur wissen, was auf ihrer Rückbank liegt.“
„Ach so.“ Er atmet tief aus.
„Das ist ein Plastikrohr für Abwasser. So was brauch ich als Klempner.“
„Dann habe ich was verwechselt!“ Ich winke ihm und wende mein Rad. Wie peinlich. Und dann war das Ding auch noch aus Plastik! Jetzt muss ich aber zu Julia, bevor sie irgendeinen Blödsinn macht. So schnell es meine zittrigen Beinmuskeln erlauben, radle ich zu ihr zurück. Unterwegs sehe ich was aus dem Augenwinkel. Ich bremse hart und spähe über einen Gartenzaun. Länglich, aus Holz, ungefähr einen Meter lang. Ich schaue genauer: Ein abgesägter Tannenstumpf. Jetzt sehe ich schon Gespenster, Riesen-Flöten-Tröten-Gespenster. Ich fahre weiter, am Ende der Straße entdecke ich Julia. Sie winkt mir begeistert. Zum Glück hat sie gewartet. Manchmal fährt sie alleine los. Dann müssen wir sie in der ganzen Stadt suchen.
„Will nach Hause“, sagt Julia, als ich bei ihr ankomme. Sie hat Recht. So planlos finden wir das Didscheridu nie. Ich blicke auf die Uhr. Verdammt, schon kurz vor eins. Um zwei haben wir das Fußballturnier.
„Julia, wir müssen sogar ganz schnell nach Hause.“
Richtig schnell geht mit Julia gar nicht. Dauernd hält sie an, oder sie singt oder sie juckt etwas. Nach zwanzig Minuten sind wir endlich da.

 

5. Kapitel: Nachbar, Großkotz, Tormaschine

„Habt ihr’s gefunden?“, fragt Mama.
„Nein, es hat sich in Luft aufgelöst.“ Ich knurre und zucke mit den Schultern.
Sie streicht mir über den Kopf. Obwohl es mir jetzt eigentlich gut tut, schüttele ich mich. Bin schließlich kein Baby mehr.
Opa kommt aus dem Gästezimmer runter. „Guten Morgen, ihr Lieben!“, ruft er gutgelaunt.
„Von wegen Guten Morgen, es ist halb zwei mittags“, sagt meine Mama.
„Ich habe ja auch die ganze Nacht gebastelt. Ein superlanges Fernrohr. Wollt ihr es sehen?“, fragt Opa stolz.
„Später“, sage ich, „ich hab ein Turnier und muss jetzt turboschnell los.“
Meine Fußballtasche liegt irgendwo im Keller. Wie immer finde ich nur die Hälfte meiner Ausrüstung. Das Zeug verdunstet oder taucht an Orten auf, wo sie kein vernünftiger Mensch vermutet. Zumindest ich nicht.
„Mama, wo sind meine Schienbeinschützer?“, brülle ich nach oben.
„Mein Gott, Käpten. Du bist bald zehn und kein Baby mehr!“
Kann sie Gedanken lesen? Jetzt schlägt sie mich mit meinen eigenen Waffen.
Knotternd beginne ich die Suche. Zwischen Trockner und Waschmaschine schimmert es dunkel. Welcher Vollpfosten hat meine Schienbeinschützer in der Lücke versenkt? Vielleicht war ich es ja selbst. Lieber halte ich die Klappe.
Beim Taschepacken merke ich, dass mein Rechner im Alarmmodus läuft. Irgendwas hat ihn aktiviert, und ich weiß nicht was. Mein Bauch sagt, dass der Fall „Verschwundenes Didscheridu“ bald vor der Auflösung steht. Aber noch tappe ich völlig im Dunkeln. Als irrte ich durch ein stockdunkles Zimmer und der Rollladengurt ist plötzlich in Reichweite. Ich taste blind, fühle ihn und ziehe daran. Sonnenlicht flutet dann ins Zimmer und ich sehe völlig klar, wo eben noch absolute Dunkelheit geherrscht hat. Gerade ahne ich, wo in diesem Fall der Rollladengurt sein könnte. Noch aber habe ich ihn nicht in der Hand.
Ob ich mit so schlauen Gedanken im Kopf überhaupt Fußball spielen kann?

Ich schnalle die Sporttasche auf meinen Gepäckträger und rase los. Und krache fast mit Malte, der größten Plage des Universums, zusammen. Malte, Mittelstürmer der TG, der leider jedes Spiel ins Tor trifft. Malte, der Angeber aus der Nachbarklasse. Malte aus dem Nachbarhaus mit der dröhnenden Blechstimme. Wenn er im Garten seinem Bruder etwas zuflüstert, falle ich vor Schreck bei uns aus der Hängematte. Mit genau diesem Malte und seinem Angeber-BMX-Rad produziere ich fast den zweiten Unfall des Tages.
„Was meinst du, Käpten, wie hoch kriegt ihr heute von uns auf die Mütze?“ Malte foltert sein Kaugummi und grinst breit.
Im letzten Spiel hat Maltes TG unseren FC leider tatsächlich mit 7:3 abgefrühstückt.
„Schaun wir mal!“ Ich flüchte mich in alte Fußballerweisheiten.
„Unser Treffpunkt ist um halb zwei. Ich muss jetzt dringend los!“, sage ich.
„Na ja, dann bist du ja erst zehn Minuten zu spät“, dröhnt Malte mit seiner Megafonstimme und lacht blechern. Ich trete in die Pedale und rase los. Malte hinter mir her. Wer macht eigentlich so bescheuerte Turnierpläne? Die TG und der FC in einer Turniergruppe. Zwei Teams aus einer Stadt, die so große Konkurrenten sind. Und dann ist auch noch das Didscheridu weg. Ich versuche mir den Kopf freizuschütteln. Es gelingt mir nicht. Er ist immer noch voller Nebel und Fragezeichen.
„Tut dir was weh?“, fragt Malte und lacht meckernd.
„Übrigens, ich hab neue Kickschuhe. Die Neuesten von Strike!“, brüllt er von hinten.
Ich radele einfach weiter.
„Mal gucken, wie viele ich euch damit reinmache!“, ruft er.

 

6. Kapitel: Lattentreffer und Blutblasen

Wir sind beim Sportplatz angekommen. Der Parkplatz quillt schon über vor Autos. Wir fahren aufs Sportgelände und schließen unsere Fahrräder neben der Tribüne an. „Wir sehen uns“, sagt Malte und schlendert lässig zu seinem Team.
Vor einem Bierzelt werden Pommes und Würstchen verkauft. Sogar ein Crepes-Stand ist aufgebaut. Auf diese dünnen Pfannkuchen mit Nutella fahre ich ja voll ab. Aber jetzt müssen wir erst mal kicken. Es gibt zwei Gruppen aus je fünf Mannschaften. Als Gastgeber bestreitet unser FC das Eröffnungsspiel. Mit viel Glück und reichlich Lattentreffern gegen uns gewinnen wir das Ding mit eins zu null. Horst, unser Trainer, klatscht uns strahlend ab und gibt uns eine Bratwurst aus. Mir als Vegetarier ein Nutellacrepes.
„Beeilt euch mit dem Essen, wir spielen bald wieder!“, sagt er.
Nach dem glücklichen Sieg sind wir bester Laune und stopfen in uns rein, dass das Ketchup und die Nutella nur so spritzen.
Horst guckt uns kopfschüttelnd an.
„Mensch, Jungs, wie seht ihr denn aus? Ihr seid doch keine Babys mehr!“ Hört das mit den Babys heute gar nicht mehr auf?
„Ich bin kein Junge!“, mault Alexandra, unsere rechte Verteidigerin.
„Dich hab ich auch nicht gemeint. Dein Trikot ist ja nicht so vollgewutzt!“, sagt Horst.
Jetzt sind auf unseren gelben Trikots halt auch ein paar rote oder braune Flecken. Die müssen nach dem Turnier doch sowieso gewaschen werden.
Das zweite Spiel läuft besser. Wir kombinieren richtig gut und lassen dem Gegner keine Chance. Vier zu null gewinnen wir und fühlen uns schon wie die Turniersieger.
Auf dem Weg zum Brezelstand gehe ich bei der Turnierleitung vorbei. Da sitzt unser Vereinsvorsitzender hinter dem Mikrofon und freut sich, dass ihm heute jeder zuhören muss. Heimlich schiele ich nach dem Siegerpokal. Ich stelle mir vor, wie ich ihn inmitten meiner jubelnden Jungs in den Himmel recke. Da boxt mir jemand von hinten in die Rippen.
„Ich überlege gerade, wo ich den Pokal bei mir ins Regal stellen soll“, dröhnt Malte.
„Du darfst ihn gerne mal bei mir angucken. Aber nicht anfassen!“, sage ich. Und ärgere mich gleichzeitig. Jetzt rede ich schon genau so wie dieser Angeber. Wenn wir nicht Erster werden? Ich könnte mir selbst in den Hintern treten.
Malte geht zurück zu seinem Team. Mit seinen nagelneuen, lilafarbenen Superschuhen läuft er wie auf Eiern. Oder wie eine schwangere Ente auf Schlittschuhen. Was hat der denn?

Ich stelle mich bei den Brezeln an. Da kommt Horst hektisch angerannt.
„Mensch, Käpten! Wo bleibst du? Wir spielen in fünf Minuten!“
Auf dem Rückweg zur Mannschaft stopfe ich mir die noch warme Brezel rein.
Die liegt dann auch wie ein Stein in meinem Bauch. Wie ein Opa schleiche ich im dritten Spiel über den Platz. Prompt wechselt mich Horst aus. Das grenzt ja an Majestätsbeleidigung. Den Kapitän auszuwechseln. Frechheit! Ich schmolle.
„Trink halt mehr und iss nicht so viel!“, schnauzt Horst mich an.
Er ist sauer, weil wir 2:0 hinten liegen. Aber einwechseln will er mich auch nicht mehr.
„Damit du was draus lernst!“, sagt er.
Wir verlieren. Unser Trainer schaut ärgerlich unter seiner Baseballmütze hervor. Erst sagt er ein paar Minuten gar nichts, dann verzieht er sich mit uns in die hinterste Ecke des Sportplatzes und hält Kriegsrat.
„Wenn wir auch noch im letzten Spiel gegen die TG verlieren, können wir das Halbfinale vergessen. Dann spielen wir höchstens noch um Platz fünf. Aber diesmal kriegt die TG von uns eins auf die Mütze!“
Wir brechen in begeisterten Jubel aus.
„Seid mal still!“, sagt Horst.
Wir hören die Stimme des Turnierleiters durch das Mikrofon.
„Für das nächste Spiel halten sich bitte bereit die Mannschaften vom FC und der TG. Auch wenn es ein Derby ist, bleibt fair!“, mahnt der Sprecher.

 

7. Kapitel: Das Derby

Horst klatscht uns alle ab. Wir gehen zum Hauptfeld und stellen uns auf zum Einlaufen. Ich als Kapitän ganz vorne. Mir läuft ein Schauer den Rücken runter, ich könnte jetzt glatt die Nationalhymne singen. Die Jungs von der TG kommen. Malte schlappt mit hängenden Schultern auf Socken hinterher.
„Was ist denn mit dir los?“, frage ich.
„Scheiß neue Schuhe. Meine Füße sind ne einzige Blutblase!“
„Tut mir leid!“ Ich meine es sogar ernst. Ich will schon richtig gewinnen. Und nicht nur, weil der Torjäger der Gegner ausfällt.
„Wir machen euch trotzdem alle!“, dröhnt Malte.
Jetzt ist es mir schon wieder egal, warum wir gewinnen.
Wir laufen ein und die Zuschauer klatschen. Dann pfeift der Schiedsrichter das Derby an.
Vom Spiel brauche ich wenig zu erzählen, das war stinkend langweilig. Keiner wollte einen Fehler machen, beide Mannschaften standen hinten drin und haben nur verteidigt. Aber bei einem Unentschieden ist die TG Gruppenerster und wir nur Zweiter.
„Wie lang noch?“, brülle ich nach draußen.
Horst reckt zwei Finger in die Luft.
Höchste Eisenbahn. Gleich pfeift der Schiri ab. Ich hole mir den Ball im Mittelfeld, blase dick die Backen auf und starte einen Sturmlauf. Um den ersten links rum, um den zweiten rechts herum, der dritte wird getunnelt. Dann bin ich im Strafraum. Der Torwart kommt raus, wirft sich auf den Ball und zieht mir die Beine weg. Rumms, wie eine gefällte Eiche liege ich im Strafraum.
Der Schiedsrichter pfeift! Das klingt in meinen Ohren wie das Glöckchen am Tannenbaum, das zur Bescherung ruft.
Blitzschnell stehe ich wieder und schnappe mir den Ball.
Okay, ich kenne die Regel, der Gefoulte soll nie selbst den Elfmeter schießen. Aber immerhin bin ich der Kapitän. Also schnappe ich mir die Kugel und lege sie kunstvoll auf den Kreidepunkt. Wie eine Rakete auf die Abschussrampe. Wenn der reingeht, sind wir Gruppenerster.
Luka ist der Torwart der TG. Er geht in meine Parallelklasse. Wir kicken fast jede Pause zusammen.
„Unten links, wie immer?“, fragt Luka.
Verdammt, der will mich nervös machen. Ich schieße tatsächlich am liebsten unten links rein. Und jetzt? Meine Gedanken rasen. Wenn ich so schieße wie immer, ist er überrascht. Oder auch nicht? Mist, was soll ich nur tun? Und das Didscheridu ist immer noch weg. Ein Tag zum Verrücktwerden!
Ich entscheide mich für hoch in die Mitte. Damit rechnet Luka nie. Und wenn, schieße ich so fest, dass er mit reinfliegt.
Ich nehme einen langen Anlauf, haue granatenmäßig mit Vollspann gegen die Kugel und dann, tja, dann war da wohl was dran an der Rakete und der Abschussrampe. Vielleicht hatte ich auch zu viel Rücklage. Der Ball war auch sehr leicht. Auf jeden Fall zischt der Ball weit, weit über das Tor. Er fliegt sogar über den Stadionzaun und landet im angrenzenden Wäldchen.
Luka hebt den Daumen und sagt grinsend: „Respekt, das muss man erst mal hinkriegen.“
Dann pfeift der Schiri und das Spiel ist aus. Leider tut sich die Erde nicht auf und verschluckt mich. Ich schleiche vom Platz.
„Ist nicht schlimm!“ Horst legt mir den Arm auf die Schulter. „Wir sind trotzdem noch im Halbfinale.“
Und es ist doch schlimm. Als Zweiter unserer Gruppe müssen wir gegen den bärenstarken Ersten der anderen Gruppe ran.
Verdammt, waren die Jungs von 03 Kronburg bis jetzt gut.
Wir können froh sein, als der Schiedsrichter beim Stand von 3:0 für Kronburg endlich abpfeift. Also bleibt für uns nur das kleine Finale, das Spiel um Platz drei. Ich bin platt. Die Sonne ballert, heute morgen die Suche nach dem Didscheridu und jetzt schon fünf Spiele. Die TG hat natürlich ihr Halbfinale gewonnen und spielt um Platz eins. Das plättet zusätzlich.

 

8. Kapitel: Lachkrampf statt Wadenkrampf

„So Jungs, jetzt geht es gegen den TV Wallberg noch mal um alles! Wir holen uns den dritten Platz“ Horst hat uns zu einem Kreis versammelt und hält mit rotem Kopf und heiserer Stimme die letzte Ansprache des Tages.
„Die haben einen bärenstarken Torwart und der Siebener im Mittelfeld ist ein super Techniker.“ Horst legt Kevin die Hand auf die Schulter.
„Kevin, du kriegst einen Spezialauftrag. Du deckst die Sieben! Und wenn er aufs Klo geht, gehst du mit!“
„Wenn ich aber gar nicht muss?“, fragt Kevin unsicher.
Horst rollt die Augen. „Dann gehst du trotzdem mit!“
Ich klopfe Kevin auf die Schulter und nehme mir vor, ihm nach dem Spiel Horsts Spruch zu erklären.
Der Schiri pfeift das Spiel an. Ich entdecke Julia und Opa am Spielfeldrand. Julia winkt und hat etwas Längliches in der Hand. Wahrscheinlich Opas neues Fernrohr.
Malte schaut sich auch unser Spiel um Platz drei an. Er hat eine Vuvuzela dabei. Das sind diese fürchterlichen Plastiktröten damals von der WM 2010 in Südafrika.
Jeden Angriff des TV Wallbergs unterstützt Malte mit Getöse. Das ist mir ein netter Nachbar!
Außer Maltes Getröte tut sich nichts bei dem Spiel. Es ist ein müder Kick, alle kriechen nur noch wie die Schnecken. Dann ist die reguläre Spielzeit vorbei. Es gibt Elferschießen!
Horst bestimmt unsere fünf Schützen.
„Du, Käpten, schießt den letzten“, höre ich ihn wie durch einen Nebelschleier. Großartig, das ist ja genau das, was ich mir nach meiner Elferrakete übers Tor gewünscht habe.
Malte rennt mit seiner Vuvuzela hinters Tor. Julia stellt sich mit dem Fernrohr neben ihn.
Wallberg hat den ersten Schuss, unser Torwart ist ohne eine Chance.

Als Max unseren ersten Elfer schießen will, bläst Malte wie verrückt in seine Vuvuzela. Der Schiri unterbricht das Elferschießen und verbietet ihm das Getröte. Malte spielt den Beleidigten und Max versenkt ihn lässig im Gehäuse. Alle weiteren Schützen treffen, doch den fünften Schuss von Wallberg lenkt unser Torwart mit einer sensationellen Parade über die Latte.
Es steht also immer noch 4:4. Das ganze Stadion starrt mich an. Wenn ich unseren letzten Schuss reinmache, haben wir gewonnen und sind Dritter.
Malte steht hinter dem Tor und grinst schief. Dann nimmt er seine Vuvuzela, hält sie wie ein Fernrohr vors Auge und sucht lachend den Himmel ab. Damit will er mir wohl zeigen, wo mein letzter Elfer gelandet ist.

Julia steht neben ihm, nimmt ihr Fernrohr und macht sein Theater begeistert mit.
Und plötzlich haut es mich von den Socken. Ich habe den Rollladengurt in der Hand! Jetzt weiß ich, wo unser Didscheridu ist! Wenn Malte durch seine Höllentröte in den Himmel schauen kann, dann müsste man doch auch durch Julias Fernrohr tröten können. Ein Lachanfall zerreißt mich.
Malte lässt seine Vuvuzela sinken und schaut mich verwundert an. Ich wälze mich am Boden, strample mit den Beinen, halte mir den Bauch.
Der Schiedsrichter kommt auf mich zu. „Geht’s dir noch gut?“
„Alles bestens“, japse ich von unten und kann immer noch nicht aufhören zu lachen.
Horst kommt zu mir zum Elferpunkt.
„Hast du’n Sonnenstich?“, fragt er.
„Ne, ich hab grade einen Fall gelöst!“, pruste ich hervor.
„Einen Fall gelöst? Ich hab nur dich fallen sehen. Eigentlich sollst du aber einen Elfer schießen!“
„Mach ich jetzt auch!“ Ich stehe wieder auf, lege den Ball auf den Punkt und nehme Anlauf.
Und dann zappelt der Ball links unten im Netz und meine ganze Mannschaft stürzt sich auf mich. Wir sind Dritter!

 

9. Kapitel: Genau!

„Du hast also geschossen wie immer und getroffen!“ Papa hat eine Schürze an und steht mit der Zange am Grill.
„Klar, der Torwart aus Wallberg kannte mich doch nicht“, sage ich.
„Du hättest bestimmt auch bei Luka getroffen, wenn du nicht so viel nachgedacht hättest“, sagt Mama.
„Papa, ich will noch Würstchen!“, ruft Julia.
„Wer ist denn erster geworden?“, fragt Papa.
„Kronburg natürlich! Die haben Maltes TG gepflegt zerlegt“, sage ich mit wenig Mitleid in der Stimme und lauter als nötig. Aber im Nachbargarten regt sich nichts.
„Wieso wart ihr nach unserem Spiel so schnell weg?“, frage ich Opa.
„Wir mussten noch Würstchen kaufen“, antwortet er.
„Aber jetzt muss ich dir von meinem Fernrohr erzählen. Hundert mal so groß wie in echt sieht alles aus.“
Opa rudert mit den Armen wie ein Angler, der zeigt, welch großen Fisch er gefangen hat.
„Ich hatte letzte Nacht das Gefühl, ich könnte den Mond anfassen.“
„Komm, komm, komm, übertreib mal nicht!“ Mein Vater nimmt immer alles sehr genau.
„Wie hast du das Fernrohr gebaut?“, frage ich.
„Die Linsen hatte ich zufällig dabei. Aber dann begann das Gefummel. Das Rohr war nämlich nicht ganz gerade.“
„Dein Rohr ist wahrscheinlich einen Meter lang, aus Holz und innen hohl?“, frage ich.
„Ja, woher weißt du das?“, antwortet Opa.
„Und das Rohr stand gestern Abend vor der Tür?“, frage ich weiter.
„Ja, ich dachte, es soll zum Sperrmüll“, sagt Opa.
„Dann zeig uns mal dein Fernrohr. Vielleicht kann man damit bis nach Australien schauen und hört sogar, wie die Ureinwohner Musik machen“, sage ich.
„Also, ich verstehe kein Wort mehr.“ Opa schaut ratlos von einem zum anderen.
„Riesen-Flöten-Tröte“, sagt Julia.
„Genau“, sage ich und zwinkere wie der Wurstverkäufer.

2 thoughts on “Der verschwundene Meter

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