Ein klägliches Winseln im Gebüsch des stinkfeinen Hotels, in dem Opa seinen siebzigsten Geburtstag feiert: Käpten findet einen vergifteten Hund und kann ihn in letzter Sekunde retten. Käpten ist Kapitän seiner Fußballmannschaft und heißt eigentlich Jonathan. Aber so nennen ihn nur seine Lehrerin und sein Vater. Er weiß noch nicht, ob er lieber Fußballprofi oder Detektiv werden möchte. Deshalb hat er immer Ball und Lupe dabei. Runder Geburtstag hin oder her: Wenn ein Hund vergiftet wurde, ist das eindeutig ein neuer Fall für Käpten und Julia, seine Assistentin. Hallojulia, Sack Zement verflixt noch mal!
- Kapitel: Ein wackelnder Tirolerhut
- Kapitel: Schweinerei
- Kapitel: Hot Dogs für Vegetarier?
- Kapitel: 53 Katzen
- Kapitel: Der Höllenritt
- Kapitel: Schritte in der Dunkelheit
- Kapitel: Der Köder wird ausgelegt
- Kapitel: Der Köder wird geschluckt
- Kapitel: Wie soll sie heißen?
1. Kapitel: Ein wackelnder Tirolerhut
Ich halte den Ball hoch. Mit den Füßen, den Oberschenkeln, dem Kopf. Hauptsache, die Kugel berührt nicht den Boden. Messi, der beste Fußballer der Welt, kann das sogar mit geschlossenen Augen. Fünfzehn Mal ist mein Rekord, natürlich mit offenen Augen. Aber auch Messi hat klein angefangen. Gerade bin ich bei der 11. Berührung und habe den Ball immer noch voll unter Kontrolle!
„Bist du narrisch, Sack Zement verflixt noch mal!“, brüllt es plötzlich hinter mir.
Vor Schreck verspringt mir der Ball und landet in den Rosen. Ich drehe mich um. Ein riesengroßer Mann steht da. So grimmig wie er guckt, möchte er kein Autogramm von mir. Er trägt Gummistiefel, eine Armeehose und einen Tirolerhut.
„Runter vom Rasen, Sack Zement!“ Er stellt seine Schubkarre ab. Beim Schimpfen wackelt die Feder an seinem Hut.
„Ich wusste nicht, dass man nicht auf den Rasen darf“, sage ich und staune, dass ich vor diesem Brüllaffen so einen komplizierten Satz hinkriege.
„Jetzt weißt du es. Und auch noch mit einem Fußball. Meine armen Rosen!“
„Ihre Rosen? Gehört Ihnen das Hotel?“
„Nein, ich bin der Gärtner. Und jetzt verschwinde!“
„Wieso? Ich bin hier Hotelgast!“
„Ach so, ein Gast.“ Überrascht zieht er die buschigen Augenbrauen hoch. „Kinder sind eher selten in unserem Jagdhotel.“
„Mein Opa feiert seinen 70. Geburtstag hier.“
„Dann feiert schön. Aber wehe, der Ball fliegt noch mal in meine Rosen!“ Er hebt drohend den Zeigefinger.
Vorsichtig angele ich meinen Ball aus dem Rosengebüsch. Zum Glück ist mein WM-Ball nicht platt. Ich laufe Richtung See, über dem noch Dunstschleier hängen. Es ist früh am Samstagmorgen. Wir sind übers Wochenende in ein stinkfeines Hotel gefahren. Das liegt am Starnberger See, ganz unten in Deutschland. Meine Lehrerin hätte jetzt gesagt: „Jonathan, bald bist du ein Viertklässler. Man sagt nicht unten, sondern im Süden Deutschlands.“ Aber ihr versteht mich auch so.
Die weißen Kieselsteine knirschen bei jedem Schritt unter meinen Füßen. Als würde man durch Schnee laufen. Jetzt bin ich so nah am See, dass ich ihn schon riechen kann. Ohne den brüllenden Gärtner ist es ein friedlicher und stiller Morgen. Weit und breit keine Menschenseele. Wenn ich irgendwo neu bin, kann ich nie lange schlafen. Dann muss ich erst mal alles unter die Lupe nehmen.
Kurz vor dem Uferweg höre ich ein Winseln. Ich bleibe stehen und spitze die Ohren. Da ist es wieder! Es klingt nicht nach einem Menschen, eher nach einem Tier. Das Geräusch kommt aus einem Gebüsch. Vorsichtig schiebe ich die stacheligen Zweige auseinander und erstarre vor Schreck! Da liegt ein Schäferhund, alle Viere streckt er von sich. Vor seinem Maul ist Schaum. Er winselt jämmerlich. Ich will ihn streicheln und trösten, aber vielleicht hat er die Tollwut? Was soll ich nur tun? Hilfesuchend schaue ich mich um. Da entdecke ich eine Joggerin auf dem Uferweg. Ich rase ihr hinterher.
„Na, willst du mitlaufen?“, fragt sie schnaufend.
„Nein, da liegt ein Hund im Gebüsch!“
Sie bleibt stehen.
„Wo?“, fragt die Joggerin.
Ich führe sie zurück zu dem Gebüsch und drücke die Zweige auseinander.
„Ja, ja, der spielt nur, der macht nichts.“ Sie wischt sich den Schweiß von der Stirn und schaut zufrieden. „Jetzt macht er wirklich nichts!“
Ich fasse es nicht.
„Haben Sie wenigstens ein Handy?“, frage ich.
„Was willst du damit?“
„Den Tierarzt rufen!“
„Das mache ich lieber selbst.“
Sie kramt ein uraltes Handy aus der Bauchtasche. So eins, mit dem man tatsächlich nur telefonieren kann. Zuerst spricht sie mit der Auskunft, dann wählt sie eine zweite Nummer.
„Hallo, ist da Dr. Braunmühl?“ Pause. „Franzi Mittersee ist mein Name. Ich rufe von äh“, sie schaut sich um, „vom Jagdhotel am Starnberger See an. Ein Hund liegt im Gebüsch.“ Jetzt hört sie wieder zu und wischt sich neue Schweißtropfen von der Stirn.
„Ja, wir bleiben hier und warten auf Sie. Auf wiederhören.“
Sie steckt das Handy in die Bauchtasche zurück und sagt zu mir: „Der Tierarzt kommt gleich.“
„Danke fürs Anrufen.“ Voller Sorge schaue ich auf den armen Hund.
„Kein Problem. Aber würden alle Köter so im Gebüsch liegen, könnte ich wenigstens in Ruhe hier am See laufen.“
Auf so einen Spruch fällt mir nichts mehr ein.
„Wie heißt du?“, fragt sie mich.
„Käpten.“
„Wie?“
„Eigentlich Jonathan. Aber so nennen mich nur mein Vater und meine Lehrerin.“
„Und wieso Käpten?“ Franzi Mittersee schüttelt verwundert ihren Kopf.
„Weil ich Kapitän von meiner Fußballmannschaft bin.“
Die Joggerin glotzt so intelligent wie eine Kuh vor einer Einmaleinsaufgabe.
„Jonathan hat mich meine Mutter genannt. Wegen so einer Möwe aus einem Buch. Meine Mutter fliegt auch. Sie ist Pilotin und fliegt die fetten Jumbos.“
„Aha.“ Franzi Mittersee schaut immer noch nicht viel schlauer und beginnt mit Dehnungsübungen. Hoffentlich kommt der Tierarzt bald.
2. Kapitel: Schweinerei
Zehn Minuten später entdecke ich einen Geländewagen auf dem Uferweg. Das muss der Tierarzt sein. Ich winke wie ein Schiffbrüchiger. Der Wagen donnert über den Kiesweg auf das Hotelgelände, dann rast er direkt auf das Gebüsch zu. Beim Bremsen gräbt er meterlange Rillen ins Gras. Ein Mann springt heraus.
„Guten Morgen. Braunmühl ist mein Name. Haben Sie angerufen?“ Er schnappt eine Ledertasche von der Rückbank.
„Ja, ich bin Franzi Mittersee. Der Junge hat das Tier gefunden.“
Ich zeige dem Arzt den Hund.
„Könnt ihr mir die Zweige auseinander halten?“, sagt der Tierarzt und zieht sich Gummihandschuhe über.
Ich zerre mit der Joggerin an den kratzigen Zweigen, der Tierarzt zieht vorsichtig am Hund. Der Schäferhund jault und schnappt nach ihm.
„Ruhig, ganz ruhig!“, sagt der Tierarzt. „Gleich geht’s dir besser!“
Er legt den Hund auf das Gras, dann betrachtet er seine zerkratzten Arme.
„Ilex aquifolia“, sagt er.
„Heißt so die Krankheit des Hundes?“, frage ich den Tierarzt.
„Nein, so heißt das dämliche Gebüsch. Auf Deutsch: Immergrüne Stechpalme. Hübsch anzuschauen, aber besser mit Abstand!“
Er beginnt mit der Untersuchung des Hundes, da tönt es von weitem: „Runter mit dem Wagen von meinem Rasen! Sack Zement verflixt noch mal!“
Oh nein, schon wieder dieser Brüllaffe. Der riesige Gärtner taucht auf, diesmal in Begleitung eines vornehmen Herrn. Der ist genauso groß wie der Gärtner, aber dürr wie eine Bohnenstange.
„Hubertus von Weihenstein ist mein Name“, sagt der Dünne und redet irgendwie durch die Nase. „Ich bin der Hotelbesitzer. Darf man erfahren, was diese Versammlung auf meinem Anwesen zu bedeuten hat?“
„Ich bin Tierarzt, Braunmühl ist mein Name. Dieser arme Hund wurde vergiftet.“
„Wo haben Sie das Tier gefunden?“, fragt von Weihenstein.
„Ich hab‘ den Hund gefunden. Hier im Gebüsch!“, sage ich.
Der Hotelbesitzer mustert mich aus luftiger Höhe. Er zieht die Augenbrauen hoch und sein langer Riechkolben zuckt.
„Sapperlot, vergiftet, und das auf meinem Grund und Boden.“ Hubertus von Weihenstein schüttelt entsetzt den knochigen Kopf. Der Mann erinnert mich an einen riesigen Geier.
„Womit wurde der Hund vergiftet?“, fragt der Gärtner.
„Kann ich noch nicht sagen.“ Dr. Braunmühl steht auf. „Aber haben sie eine Idee, wer so etwas Gemeines tun könnte?“
Der Gärtner zieht die Schultern hoch und von Weihenstein behaucht seinen dicken Siegelring. Er poliert ihn und zieht die Stirn in Falten. „Nun, leider gibt es hier viel zu viele Hunde, die meine Hotelgäste durchaus belästigen. Einige wollten deswegen schon vorzeitig abreisen. Aber einen Hund vergiften? Nein, hier verkehrt gehobene Kundschaft, die mitnichten…“
„Und meine Rosen machen die Köter kaputt!“, fällt ihm der Gärtner ins Wort, „und sie kacken auf den Rasen!“. Sein Hals ist angeschwollen und der Kopf leuchtet tomatenrot.
„Brockmann ist mein Name, Kurt Brockmann. Ich pflege die Außenanlagen. Diese Köter sind wirklich ein Plage. Wenn sie wenigstens an der Leine wären!“
„Ganz ihrer Meinung“, meldet sich Franzi Mittersee zu Wort. „Die laufen hier frei rum und springen mich beim Joggen an!“
„Gibt es hier nicht einen Menschen, der Tiere mag?“, fragt Dr. Braunmühl.
„Doch, doch“, antwortet Hubertus von Weihenstein. „Das alte Fräulein Sander. Sie hat eine Katzenpension, gleich rechts hier um die Ecke. Sie liebt ihre Kätzchen. Aber sie hasst Hunde.“
Der Tierarzt schüttelt fassungslos den Kopf und gibt dem Hund eine Spritze.
„Wird er es überleben?“, frage ich den Arzt.
„Ich denke schon. Vielleicht muss ich ihm den Magen auspumpen. Ich nehme ihn jetzt mit in meine Praxis.“
Dann trägt er den Hund vorsichtig in sein Auto.
„Danke fürs Annrufen!“ Er winkt aus dem geöffneten Fenster und gibt Gas, dass die Bröckchen fliegen.
Brockmann will schon wieder losschimpfen, aber der Hotelbesitzer legt seine knöcherne Hand beruhigend auf die Schulter des Gärtners.
Franzi Mittersee trabt los und der lange und der dicke Riese gehen zum Hotel zurück.
Mein zentraler Rechner im Hirn arbeitet jetzt mit Vollgas. So viele Verdächtige, und alle hätten ein Motiv. Der Hotelbesitzer und sein Gärtner, die Joggerin, sogar das Fräulein mit der Katzenpension.
Ich habe mich noch nicht entschieden, ob ich der Nachfolger von Messi oder von dem berühmten Detektiv Sherlock Holmes werden soll. Deshalb habe ich immer einen Ball und eine Kamera dabei. Jetzt bin ich als Detektiv gefragt. Ich fotografiere den stacheligen Tatort von allen Seiten. Dann schiebe ich mich vorsichtig ins Gebüsch, mit Rücken und Hintern zuerst.
„Was machst du denn noch hier?“
Ich zucke zusammen und ratsche mir vor Schreck die Arme auf. Vor dem Gebüsch steht Brockmann, der dicke Gärtner. Als wäre er vom Himmel gefallen.
„Spurensicherung“, antworte ich und zeige auf meine Kamera.
„Hast du auch einen Film eingelegt?“
„Das ist eine Digitalkamera, die braucht keinen Film.“
„Digitalkamera“, wiederholt Brockmann. „So, so, ein Dicki geht ins Tal Kamera.“ Er zieht die Augenbrauen hoch.
„Ich würde gerne in Ruhe ermitteln“, sage ich und verlasse vorsichtig das immergrüne Stechpalmengebüsch.
„Was meinst du eigentlich mit Spurensicherung und ermitteln?“, fragt Brockmann weiter.
„Ich bin Detektiv!“ Nach meiner Antwort mustert mich Brockmann lange, sein Blick scannt mich von oben bis unten.
„Stimmt“, er nickt bedächtig, „bei deiner Größe bist du kein Detek-hoch. Du bist ein Detek-tief.“
In meinem Bauch braut sich ein Tornado zusammen. Ein Hund wurde vergiftet, und der macht blöde Sprüche.
„Gehen Sie doch Ihre Rosen liebkosen!“, brülle ich den Gärtner an. Mit Narzissen hätte ich einen besseren Reim gehabt. Mein Vater will aber nicht, dass ich „beschissen“ sage. Es wirkt trotzdem, der Gärtner trollt sich Richtung Hotel. Endlich kann ich die Spurensicherung abschließen, leider ohne brauchbare Ergebnisse. Keine verräterischen Fußabdrücke, keine Stoffreste an den stacheligen Blättern, nicht ein Fizzelchen Rattengift und noch nicht mal ein exotischer Zigarettenstummel.
Mit großem Abstand folge ich dem Brüllaffen ins Hotel.
3. Kapitel: Hot Dogs für Vegetarier?
Die dicken Teppiche schlucken jedes Geräusch. Alles ist alt und vornehm. An den Wänden hängen Geweihe und der Kopf eines Wildschweins. In Vitrinen stehen ausgestopfte Greifvögel und ein Fuchs. Ein bisschen wie ein Museum, in dem man auch übernachten kann. Nachts möchte ich nicht alleine durch diese Gänge gehen.
Auf unserem Zimmer ist keiner, also sind meine Leute wohl beim Frühstück. Im Speisesaal bollert der Kamin, obwohl wir schönstes Maiwetter haben. Es riecht nach Feuer und Gemütlichkeit. Meine Schwester Julia winkt mir zu. Opa kommt gerade vom Büfett und balanciert einen megavollen Teller zum Tisch.
„Noch mehr hätte da nicht drauf gepasst?“ Mein Vater schaut Opa vorwurfsvoll an und zieht die Stirn in Falten.
„Ein Geburtstagskind darf das“, sagt Opa grinsend.
„Wo kommst du denn her?“, fragt mich Mama mit vollem Mund.
„Musst du immer mit vollem Mund sprechen?“, fragt Papa, und betätigt sich zum zweiten Mal als Anstandsdame.
„Ja, muss ich!“, sagt Mama und lacht.
Mama ist als Pilotin oft weg, und Papa passt auf uns Kinder auf. Er arbeitet nicht mehr wie früher für eine Zeitung, sondern schreibt zu Hause für andere Leute Gedichte. Deshalb hat er oft schlechte Laune. Das ist zumindest Mamas Erklärung.
„Ein Hund wurde vergiftet“, sage ich.
„Oh, nein“, sagen Mama und Opa.
„Von wem?“, fragt Papa.
„Wenn man immer alles schon wüsste, wären Detektive überflüssig“, sage ich.
Papa rümpft die Nase. „So, so. Du übernimmst also wieder einen Fall. Und wann willst du mit uns Geburtstag feiern?“
„Ist schon OK, Käpten. Zisch ab!“ Opa zwinkert mir zu. „Aber vorher solltest du das köstliche Büfett plündern.“ Er zeigt zufrieden auf den langen Tisch mit Eiern, Weißwurst, Käse, Speck, Aufschnitt, Frikadellen, Müsli, Brot und Brötchen. Damit könnte man locker ein halbes Fußballstadion durchfüttern.
Der lange Hotelbesitzer steht plötzlich neben mir. „Unser Koch kann dir auch einen Hot Dog zubereiten. Ich konnte mich ja eben davon überzeugen, dass du Hunde magst.“
„Nein danke, ich bin Vegetarier“, sage ich.
„Vegetarier, wie niedlich. Da fällt mir ein Witz ein. Sagt ein Menschenfresser zum anderen: Mein Sohn isst Vegetarier.“
Von Weihenstein schaut mich erwartungsvoll an: „Na, verstehst du nicht? Er ist kein Vegetarier, sondern er tut sie essen!“
Dann beginnt er zu lachen und klopft dabei auf seinen Oberschenkel. Beim Lachen zieht er die Luft hoch, als hätte er einen Erstickungsanfall. Sein Röhren hört sich an wie ein erkälteter Hirsch.
Meine Schwester steht auf und umarmt von Weihenstein. Ihre kurzen, dicken Finger klopfen auf seinen Rücken.
Er schiebt sie verwundert von sich, Julia strahlt ihn an.
„Hast du Aua?“, fragt sie ihn. Ihre Stimme ist tief und klingt immer ein bisschen kratzig.
„Äh, nein, mir geht es gut.“ Der Hotelbesitzer starrt Julia an.
„Schlechte Witze werden auch nicht besser, wenn man sie noch erklären muss!“, sagt mein Opa laut.
Wortlos verlässt von Weihenstein den Frühstücksraum.
„Ich mach mich an die Arbeit!“, sage ich und will auch gehen.
„Spätestens um eins bist du wieder da, Jonathan!“, sagt mein Vater.
„Nimm bitte Julia mit, Käpten“, ruft Mama mit vollem Mund.
Kurz danach stehe ich mit meiner Schwester im Hotelpark. Ich kaue an einem Käsebrötchen, auch wenn die hier Semmel dazu sagen. Schmeckt trotzdem. Meine Detektivnase juckt. Noch weiß ich nicht, wo sie mich hinzieht.
„Willst du Katzen sehen?“, frage ich Julia. Ihre Augen strahlen. Meine Schwester ist schon zwölf, trotzdem muss ich auf sie aufpassen. Sie ist ein Downie (sprich: Dauni). Das ist die Abkürzung für das englische ‚Down Syndrom’. Bei ihr ist was bei den Chromosomen durcheinander geraten. Also in dem Bauplan, den man von seinen Eltern vererbt bekommt. Ihr Rechner im Kopf ist manchmal ziemlich langsam. Oder er stürzt total ab. Deshalb wird sie jeden Morgen mit einem Bus in eine Förderschule gefahren. Aber wer „Mongo“ zu ihr sagt, kriegt von mir auf die Nuss. Ich schwöre auf die Möhre! Da verstehe ich echt keinen Spaß. Außerdem ist Julia meine Assistentin. So was braucht jeder Detektiv.
4. Kapitel: 53 Katzen
Fräulein Sander, gleich rechts um die Ecke. Das hat Hubertus von Weihenstein gesagt. Merken kann ich mir Sachen gut. Aber links und rechts? Meine Lehrerin sagt, spätestens in der vierten Klasse muss ich das draufhaben. Und zwar ohne zu überlegen! Da machen wir nämlich die Fahrradprüfung. Aber Messi sagt doch auch nicht vorher, ob er den Ball links oder rechts in den Winkel zirkelt. Er tut es einfach.
„Wo ist rechts?“, frage ich Julia.
Sie zeigt mit beiden Händen in jeweils eine andere Richtung, steht da wie ein Verkehrspolizist und grinst. So genau wollte ich es auch nicht wissen.
Ich schaue auf meine Hände. Mit der einen Hand schreibe ich, da ist links. Am anderen Handgelenk ist die Uhr, da ist rechts. Geht doch! (Wenn ihr jetzt glaubt, ich hätte es wieder verbockt: Nix da, ich bin wirklich Linkshänder!)
Fünf Minuten später drücke ich die Klingel der Katzenpension. Lange tut sich nichts. Gerade will ich noch mal klingeln, da höre ich es innen klackern. Als käme ein Pirat auf seinem Holzbein angehumpelt.
„Ja bitte?“ Eine Frau mit grauen Haaren öffnet zögerlich die Tür. Sie hat ein Gipsbein und läuft an Krücken.
„Hast du Kätzchen?“, fragt Julia und strahlt. Vor Freude reibt sie ihre Hände. Dann streichelt sie der Frau über das Gipsbein.
„Armes Häschen!“, tröstet meine Schwester die Alte.
„Kommt rein!“ Ein Lächeln huscht über Fräulein Sanders Gesicht.
Ihr ganzes Haus ist voll mit Katzen, Körbchen und Kletterbäumen. In jeder Ecke steht ein Katzenklo. Julia ist hin und weg. Schon sitzt sie im Schneidersitz auf dem Boden, streckt wie immer die Zunge etwas raus und wird von einer Armee schnurrender Katzen belagert.
„Wie viele Katzen haben Sie?“, frage ich erstaunt.
„Zurzeit 53. Wollt ihr eine haben?“
„Nein, wir sind nur das Wochenende hier.“ Ich schaue mich um.
„Haben Sie auch Hunde?“, frage ich möglichst unauffällig.
„Gott bewahre, nein. Über so ein Vieh bin ich am Uferweg gestolpert. Schaut euch die Bescherung an!“ Sie klopft auf ihren Gips. „Außerdem würden die meinen Katzen Angst machen.“
„Also sollte man was gegen die Hunde am See unternehmen.“
Ich versuche ihr eine Falle zu stellen.
„Ganz bestimmt. Leinenzwang und Maulkörbe für alle“, sagt Fräulein Sander.
„Und ihr wollt bestimmt keine Katze? Mit dem Gips wird mir das langsam zu viel.“
„Ich will auch so viele Katzen!“ Julia strahlt und drückt ein graugetigertes Kätzchen an sich.
„Julia, das geht nicht. Papa würde schon bei einer verrückt. Wenn die auf der Couch Haare verliert!“
„Schade“, sagt Fräulein Sander.
„Ich lasse Ihnen mal unsere Adresse da. Vielleicht geschieht ja ein Wunder!“
Ich notiere unsere Anschrift auf einem Notizblock in Katzenform.
„Komm, Julia!“ Ich ziehe sie leicht am Pulli. Die graugetigerte Katze auf ihrem Arm schnappt mit den Krallen nach mir. Als wollte sie Julia beschützen.
„Na, komm, wir müssen jetzt los!“
„Ich will eine Katze!“, sagt Julia trotzig.
„Da musst du mit Mama und Papa reden!“ sage ich. Julia fängt an zu weinen.
Zehn Minuten später sitzen wir am See. Jetzt lacht meine Schwester wieder mit der Sonne um die Wette. Unsere Füße hängen im kalten Wasser. Ein kleiner Fisch knabbert an meinem Zeh, dann schwimmt er weg. Ich bin unzufrieden, der Fisch wahrscheinlich auch. Ein Motiv hätte die Sander wegen ihres Gipsbeins. Aber so richtig verdächtig ist sie als Tierfreundin nicht. Meine Nase fängt an zu kitzeln. Dann kribbelt es immer heftiger und mich zerreißt eine Niesattacke. Sieben mal am Stück.
„Julia, du musst mir nicht bei jedem einzelnen Nieser Gesundheit wünschen!“, sage ich, als ich wieder reden kann.
„Doch!“, antwortet Julia trotzig.
Blöder Heuschnupfen. Jetzt blühen die Gräser. Bei schönem Wetter komme ich manchmal gar nicht aus dem Niesen heraus.
Da kommt Franzi Mittersee im Affentempo angejoggt. War die lange unterwegs, staune ich. Ihr Zopf wippt und sie keucht wie eine Dampflok. Wenn ich der jetzt hinterher renne, bin ich nach spätestens fünf Minuten platt.
„Wie soll ich die bloß beschatten?“, murmele ich vor mich hin.
„Wo ist Schatten?“ Julia schaut zum wolkenlosen Himmel.
„Kein Schatten“, sage ich und schaue in der Gegend herum.
Dabei fällt mein Blick auf einen Rasentraktor. Brockmann hat den Rasen gemäht. Einladend steht der Traktor da, von Brockmann keine Spur.
„Julia, warte hier auf mich!“ Ich renne los, drehe mich noch einmal um und brülle im Laufen: „Versprich es mir!“
Als wir das letzte Mal Julia gesucht haben, ist sie in die Straßenbahn gestiegen. Und nur, weil ich mal kurz hinterm Busch gepinkelt habe. Sie hat „Alle meine Entchen gesungen!“, als die Polizei sie gefunden hat. Die halbe Straßenbahn hätte mitgesungen, erzählte uns der Polizist grinsend. Der hatte gut lachen. Hoffentlich bleibt sie heute einfach sitzen.
5. Kapitel: Der Höllenritt
Mit einem Bocksprung entere ich den Traktor von hinten. Coole Nummer, wenn das meine Sportlehrerin gesehen hätte! Und jetzt? Tausend Knöpfe und Hebel. Gut, manchmal übertreibe ich ein bisschen. Aber gerade fehlt mir der Überblick. Hektisch drücke ich auf alle Knöpfe, ziehe an den Hebeln. Endlich ein Blubbern, der Motor geht an. Aber die Kiste fährt nicht. Ich entdecke unter mir ein Pedal. Wenn ich sitze, komme ich mit dem Fuß nicht dran. Ich lasse mich vom Sitz auf das Pedal gleiten und der Traktor macht einen Satz nach vorne. Er fährt! Ich klammere mich ans Steuer und lenke den Traktor auf die Uferpromenade.
Halb im Stehen knattere ich dem wippenden Zopf hinterher. Gegen Sebastian Vettel hätte ich keine Chance, aber mit Vollgas langt es für eine Joggerin. Da taucht ein weißhaariger Opa vor mir auf. Ich reiße das Lenkrad rum, der Opa springt Richtung Blumenbeet. Sein Pudel kläfft und der Opa droht mir mit der Faust. Was er brüllt, verstehe ich nicht. Ist wohl besser so. Ich heize weiter, vor mir liegt eine Kurve. Eine Frau schiebt ihren Kinderwagen panisch an den Rand und zeigt mir den Vogel. Hoffentlich geht das mal gut! Plötzlich taucht ein Radler neben mir auf. Ich sehe mich selbst in seiner verspiegelten Sonnenbrille. Er lacht, hebt den Daumen und ruft mir was zu. Ich verstehe immer noch nichts, der Motor rattert einfach zu laut.
Eine Beschattung soll ja möglichst unauffällig sein. Mein Höllenritt steht bestimmt in keinem Handbuch für Detektive. Trotzdem dreht sich Franzi Mittersee nicht um. Da entdecke ich an ihr ein Kabel. Sie hat einen MP3-Player dabei! Deshalb hört sie den Traktor nicht.
Sie wird langsamer und stoppt. Dann macht sie Dehnungsübungen. Klatschnass geschwitzt würge ich den Motor ab. Mit zittrigen Gummibeinen rutsche ich vom Fahrersitz. Hinter einem Baum schnaufe ich tief durch. Das Blut donnert mir noch durch die Adern. Ich spähe hinter dem Stamm hervor. Scheinbar ist die Joggerin jetzt genug gedehnt. Sie verlässt das Seeufer, geht über die Straße und steuert eine Metzgerei an. Ich schleiche ihr nach und finde Deckung hinter den geparkten Autos. Dann drücke ich mich an eine Litfasssäule. Sie betritt die Metzgerei. Durch das große Schaufenster kann ich die Mittersee perfekt beobachten. Jetzt ist sie an der Reihe und zeigt auf etwas in der Auslage. Der dicke Metzger nimmt ein Stück Fleisch und stopft es in einen Trichter. Unten raus kommt Hackfleisch. Meine Alarmglocken gehen an. Aus Hackfleisch macht man Frikadellen! Ideal zum Hundevergiften! Sie bezahlt, verlässt den Laden und verschwindet zwei Häuser weiter in einem Hauseingang. Sie taucht nicht wieder auf, also verlasse ich meine Deckung und schlendere unauffällig zum Hauseingang. An der dritten Klingel von unten steht „Mittersee“. Perfekt, ich weiß, wo meine Verdächtige wohnt.
Zufrieden gehe ich zu meinem Rasentraktor, starte den Motor und fahre mit halber Kraft zurück zum Hotel.
Noch eine Kurve, dann habe ich es geschafft. Ich schwenke vom Uferweg auf den Rasen und stoppe. Zum Glück habe ich keinen Fußgänger plattgebügelt! Mist, ich kann Julia nirgends entdecken. Dafür kommt Brockmann angerannt. Bevor er losbrüllen kann, quatsche ich ihn voll:
„Herzlichen Glückwunsch, ich bin zweiter Vorsitzender vom Deutschen Testbund, kurz: DTB. Aktuell testen wir Rasentraktoren. Kein Grund zur Beanstandung bei ihrem guten Stück. Alles Bestens. Danke für ihr Vertrauen!“
Der Gärtner steht vor mir, sein Unterkiefer klappt hoch und runter, immer wieder.
„Aber jetzt muss ich meine Schwester suchen!“, sage ich.
Ich drehe mich um und gehe. Dabei ziehe ich die Schultern hoch. Brüllt er jetzt und schmeißt mit seiner Rasenschere? Oder zwingt er mich, Rattengift zu essen? Nichts passiert! Vorsichtig drehe ich mich um. Brockmann steht neben dem Rasentraktor und kratzt sich am Kopf. Dann beginnt er dröhnend zu lachen.
Verdammt, wo steckt Julia? Ist sie zurück ins Hotel gegangen? Wenn ich ohne sie dort auftauche, geht das Gemeckere los. Kannst du nicht besser aufpassen, werden sie mich fragen. Dabei ist Julia sogar schon mal verschwunden, als sie mit Papa unterwegs war. Eine Idee durchzuckt mich. Ich sprinte los und bin in Rekordzeit bei der Katzenpension. Ich klingele Sturm. Mein Herz klopft noch so laut, dass ich das Piratengeklackere nicht höre. Die Tür gehr auf.
„Ist Julia hier?“, rufe ich atemlos.
„Ja, komm rein“, sagt Fräulein Sander.
Julia sitzt in einem Wohnzimmersessel. Wie immer im Schneidersitz. Auf ihrem Arm ist die kleine, graugetigerte Katze.
„Hallo, Julia!“, sage ich erleichtert.
„Halleluja“, antwortet sie. Das ist ihr Lieblingswitz.
6. Kapitel: Schritte in der Dunkelheit
Es ist nach Mitternacht. Ich liege glockenwach im Bett. Was habe ich mich zum Abendessen mit Käsespätzle vollgestopft! Die Portion hätte auch für eine Wüstendurchquerung gereicht. Ich glaube, mein Bauch explodiert gleich. Aber es gibt noch einen Grund, warum ich nicht schlafen kann. Meine Detektivnase juckt, sie zieht mich nach draußen.
Ganz vorsichtig stehe ich auf. Wenn ich Julia jetzt aufwecke, kann ich meine nächtliche Erkundung vergessen. Ich steige in meine Jeans, schnappe mir die Turnschuhe und schleiche auf Socken zur Zimmertür. Ganz vorsichtig ziehe ich sie von außen zu. Dann lausche ich. Julia rührt sich nicht. Uff, gut gegangen. Ich schlüpfe in die Turnschuhe und schleiche los.
Hatte ich nicht vor ein paar Stunden gesagt, dass ich nachts nicht alleine durch diese Gänge gehen möchte? Wieso höre ich nie auf mich?
Jetzt kommt der Flur mit dem Wildschweinkopf. Die Gänge sind nur tranfunzelig beleuchtet. Trotzdem glitzern die Augen des toten Wildschweins. Es sieht aus, als bewegten sich die Pupillen, als würde mir die arme Sau nachschauen. Das fängt ja gut an. Vielleicht werde ich heute Nacht noch in die Irrenanstalt eingeliefert.
Jetzt verzweigt sich der Wildschweingang, links geht es zum Speisesaal, rechts zur Empfangshalle mit der Rezeption. (Wieso weiß ich nachts auf Anhieb, wo links und rechts ist? Vielleicht, weil mir ein ausgestopfter Wildschweinkopf nachglotzt?)
Ich spähe um die Ecke. Der Nachtportier sitzt hinter der Rezeption, spielt am Computer und bohrt in der Nase. Sehr lecker. Während ich überlege, wie ich unbemerkt an ihm vorbeikomme, fängt meine Nase an zu kribbeln. Jetzt bloß keine Heuschnupfenattacke. Doch so wie die Lava eines Vulkans nicht gestoppt werden kann, kann auch ein Heuschnupfenausbruch nicht gestoppt werden. Den ersten Nieser versuche ich in der Ellenbogenbeuge zu ersticken. Das Geräusch hört sich wie ein kleiner Silvesterkracher in einem Briefkasten an.
Der kleine, dicke Portier nimmt den Finger aus der Nase und steht mühsam auf. Diese Sekunden nutze ich, nehme Anlauf und rutsche auf dem Bauch über die blanken Steinfliesen durch die Eingangshalle. Wie ein Fußballer, der beim Torjubel auf dem Bauch zur Eckfahne rutscht.
Leider ist mein Schwung zu stark oder die Fliesen zu rutschig, wie auch immer, jedenfalls krache ich mit der Nase gegen das Sofa am Ende der Halle.
Mein Riechkolben explodiert vor Schmerzen, doch dafür ist die Niesattacke vorbei. Zufall oder Geheimrezept? Da niese ich doch lieber! Behutsam betaste ich meine Nase. Zum Glück blutet nichts. Vorsichtig spähe ich über die Sofalehne.
Der Nachtportier hat mich nicht entdeckt, ich sehe ihn von hinten Richtung Wildschwein laufen. Ich krabbele zur Eingangstür und schlüpfe ins Freie.
Eine gespenstische Ruhe liegt über dem dunklen Hotelpark. Nur meine Nase pocht. Die Wege sind spärlich beleuchtet. Ich laufe am Rand der Büsche, um Deckung zu haben und mich nicht durch das Knirschen der Steine zu verraten. Das Gras ist feucht. Meine Taschenlampe hat die Schlitterpartie über die Fliesen unbeschadet überstanden. Vorsichtshalber lasse ich sie aber ausgeschaltet. Eine Eule schreit, ich zucke zusammen. So nächtliche Gruselnummern sind ja gar nichts für mich. Es ist saukalt und ich fröstele. Aber nicht nur wegen der Kälte. Was ich hier in der Dunkelheit mache? Das weiß ich selbst nicht so genau. Eine Ahnung hat mich nach draußen getrieben. Ich steuere das Gebüsch an, in dem ich heute den Hund gefunden habe. Eigentlich war es ja schon gestern. Ich gähne und meine Knie sind ein bisschen wackelig. Bilde ich mir das ein oder sind da Schritte auf dem Kiesweg? Tatsächlich, und sie werden lauter. Blitzschnell verdrücke ich mich ins Gebüsch. Schon wieder zerkratzt mich diese blöde Immergrüne Stechpalme, diesmal sogar auch das Gesicht, weil ich die Zweige im Dunkeln nicht richtig sehe. Die Schritte werden immer lauter. Ich kauere mich auf den Boden und halte die Luft an. Neben mir stoppt jemand, wahrscheinlich keine zwei Meter von mir entfernt. Verdammt, der muss doch mein Herz hören. Wie eine Herde rasender Mustangs hämmert es mir bis zum Hals.
Dann steigt ein wohlbekanntes Kitzeln in meine Nase. Jetzt bloß keine Niesattacke. In meiner Verzweiflung haue ich mir selbst gegen die noch schmerzende Nase. Vielleicht funktioniert der Sofatrick noch einmal. Tatsächlich, der Niesreiz ist weg. Dafür habe ich das Gefühl, als würde meine Nase gleich abfallen.
Die Zweige rascheln und mit einem dumpfen Plöpp landet etwas neben mir auf dem Boden. Dann höre ich schnelle, schwere Schritte im Kies.
Haaaatschi! Jetzt ist es doch passiert. Schlagartig verstummt das Knirschen, und die Schritte kommen zurück. Jetzt steht der Mensch wieder neben mir. Ich kauere mich noch tiefer ins Gebüsch und drücke mir mit Daumen und Zeigefinger die Nasenflügel zu. Mein Herz rast, dafür verstreichen die Sekunden wie kleine Ewigkeiten.
Endlich höre ich wieder Schritte. Erst langsame, dann immer schneller werdende. Ich riskiere einen Blick. Ein großer Mensch in einem wehenden Mantel läuft auf das Hotel zu. Ich zähle bis 100, die Zeit fließt langsam wie dicker Honig auf ein Butterbrot. Alles bleibt still. Ich knipse die Taschenlampe an und schirme den Lichtkegel mit der Hand ab. Was hat der bloß ins Gebüsch geworfen? Da! Keine Fußlänge neben mir liegt eine Frikadelle. So also wurde der Schäferhund vergiftet. Eine abgrundtiefe Schweinerei!
Der nächtliche Ausflug hat sich gelohnt. Ich weiß jetzt: Franzi Mittersee ist unschuldig, dafür war der Werfer viel zu groß. Der kleine Nachtportier kann es nicht gewesen sein. Und ein Gipsbein ist auch nicht durch den Park gehumpelt. Wegen des flatternden Mantels konnte ich nicht erkennen, ob der riesige Mensch dick oder dünn war. Vorsichtig wickle ich den Fleischklops in ein Taschentuch. Da muss ich wohl nachher zwei Herren zum Frühstück einladen! Aber vorher hau ich mich noch mal aufs Ohr.
7. Kapitel: Der Köder wird ausgelegt
Müde schlurfe ich in den Frühstücksraum. Hubertus von Weihenstein begrüßt mich lächelnd mit Handschlag.
„Guten Morgen, junger Mann und Hunderetter. Hast du wohl geruht?“
„Danke, ja. Nur ein bisschen kurz.“
Er betrachtet mein zerkratztes Gesicht.
„Waren das Fräulein Sanders Katzen?“, fragt mich der Hotelbesitzer.
„Nein, nein, ich musste meinen Ball aus den Rosen holen!“, sage ich schnell, was noch nicht mal gelogen ist.
Von Weihenstein will den nächsten Gast begrüßen, doch ich räuspere mich und frage: „Wäre es zu aufdringlich, würde ich Sie bitten, mir vom Ruderboot aus Ihr prachtvolles Anwesen zu zeigen?“ Ich hüstele vornehm. „Eventuell könnte uns Ihr Gärtner begleiten, um einige botanische Besonderheiten zu erklären?“
„Beeindruckend, dass die Jugend noch Sinn für höfliche Umgangsformen hat. Aber gerne will ich deiner Bitte nachkommen. Wir treffen uns um zehn am Steg. Ich lasse gleich Brockmann Bescheid sagen.“
Ein Glück, dass Papa auf gute Manieren steht. Von Mama hätte ich so gesülzte Sätze nie gelernt. Opa hat ja gestern gesagt, ich soll das Büfett plündern. Heute hole ich das nach und fülle mir unauffällig den Rucksack.
Um fünf vor zehn stehe ich mit Julia am Anleger. Wenn ein Fall vor der Auflösung steht, muss die Assistentin einfach mit ins Boot. Alleine schon, um dem Detektiv zur Lösung des Falls zu gratulieren. Oder um ihn zu retten, wenn der ertappte Täter ausrastet. Julia hat wirklich Bärenkräfte! Vielleicht stecken die beiden Verdächtigen ja auch unter einer Decke? Ich muss die Nummer in dem Boot einfach riskieren, um den Täter zu überführen.
Hubertus von Weihenstein steigt in das Ruderboot und nimmt auf dem vorderen Brett Platz.
„Auf, ihr zwei beiden, herein in die gute Stube!“ Gut gelaunt zeigt er auf die hintere Bank.
Wir klettern an Bord und der kleine Kahn schaukelt etwas. Als wir sitzen schiebt uns der gummibestiefelte Gärtner an und springt selbst hinein. Das Ruderboot wackelt, als wäre ein Elefant vom Himmel gefallen. Ich sehe uns schon in der eiskalten Brühe liegen. Julia singt begeistert: „Alle meinen Entchen.“ Wir kentern aber nicht, der Gärtner setzt sich in die Mitte und ergreift die Ruder.
Auf dem See sind wir dem Redeschwall des adeligen Hotelchefs hilflos ausgeliefert. Er redet über seine Vorfahren und über die Jagd. Und dass früher alles viel besser war. Brockmann rudert und schwitzt. Endlich holt von Weihenstein mal Luft. Jetzt bin ich dran.
8. Kapitel: Der Köder wird geschluckt
„Ich habe heute Nacht eine Frikadelle im Gebüsch gefunden.“
Als Beweis hole ich ein Taschentuch aus dem Rucksack und wickele einen Fleischklops aus.
„Zeig mal her!“, sagt Brockmann.
Bevor ich reagieren kann, schnappt sich Julia die Frikadelle und beißt die Hälfte ab.
„Nein, nicht!“, brüllt von Weihenstein. „Die ist vergiftet!“
Dann fällt er in Ohnmacht und kippt nach hinten. Blitzschnell zieht Brockmann an von Weihensteins Füßen, so dass er nicht rückwärts über Bord geht. Unsanft kracht der Hotelchef mit dem Hinterkopf auf die Sitzbank und streckt seine adelige Nase in den Himmel.
„Was wird hier gespielt, Sack Zement verflixt noch mal? Wieso vergiftet?“ Brockmann schnappt nach Luft.
„Das wird die Polizei Ihren Chef auch fragen“ Ich nehme meinen Rucksack ab.
„Julia, magst du noch mehr Frikadellen? Ich habe heute Morgen das Büfett geplündert.“ Ich packe eine prallgefüllte Plastiktüte voller Fleischklöße aus.
Julia nickt begeistert.
„Sack Zement, verflixt noch mal“, sagt sie schmatzend.
„Genau“, sage ich und zwinkere dem Gärtner zu.
„Auf den Schreck brauch ich jetzt auch ne Frikadelle!“, ruft der Gärtner.
Ich halte ihm den Beutel hin. Er nimmt gleich drei.
„Und jetzt?“, fragt er.
„Jetzt sollten wir ans Ufer rudern und die Polizei rufen. Haben Sie ein Handy dabei?“
„Ne, ich hab kein Handy. Noch nicht mal eine Dickital-Kamera.“ Brockmann spricht mit vollem Mund und grinst.
Endlich fängt er wieder an zu rudern. Ich beobachte ihn heimlich. Es gibt genau zwei Möglichkeiten. Entweder ist der Kerl ein Witzbold im Quadrat. Oder er hat zu lange in der prallen Sonne Unkraut gejätet. Mein Blick wandert zum Hotelbesitzer. Von Weihenstein ist etwas blass um den Riechkolben und rührt sich nicht. Aber sein Brustkorb hebt und senkt sich ganz ruhig und gleichmäßig.
Als wir am Ufer anlegen, kommt Franzi Mittersee angejoggt. Hat die denn keine anderen Hobbys?
Ich stelle mich ihr in den Weg und rudere mit den Armen.
„Ich bräuchte noch mal ihr Handy!“, rufe ich aufgeregt.
„Wurde schon wieder ein Köter vergiftet?“, schnauft sie.
„Nein, das konnte ich zum Glück verhindern“, sage ich und weiß nicht, ob sie meine Antwort beruhigt oder enttäuscht.
Da entdeckt die Joggerin den leblosen Hotelbesitzer.
„Diesmal brauchen wir also einen richtigen Arzt!“, ruft sie entsetzt.
„Keine Panik, den kriegen wir schon wieder flott. Wir müssen ihm nur Frikadellen unter die Nase halten. Darauf reagiert er besonders gut!“ Ich grinse und Brockmann boxt mir begeistert in die Rippen. Als ich wieder Luft bekomme beschließe ich, dass er zu lange in der Sonne war.
„Wir brauchen die Polizei, keinen Arzt!“, sage ich zur Joggerin.
Sie starrt mich immer noch verständnislos an.
„110“, helfe ich ihr auf die Sprünge.
9. Kapitel: Wie soll sie heißen?
„Und dann hat sie endlich gewählt! Die Polizei kam und hat dem Herrn von Weihenstein einen Eimer Seewasser übers vornehme Haupt gegossen. Und Brockmann hat sich kaputtgelacht.“
Die Geschichte passierte Anfang Mai, jetzt haben wir Mitte Juni. Dieses Wochenende ist Opa bei uns zu Besuch. Da muss ich alles natürlich noch einmal haarklein erzählen.
„Ob er jetzt im Gefängnis sitzt?“, fragt Mama.
Ob er sein Hotel noch weiterführt?“, fragt Papa. Es klingelt an der Haustür. Julia rennt hin und kommt mit einer löchrigen Box zurück.
„Der Postmann war da!“ Sie strahlt und stellt das Paket auf den Esstisch. Aus der Kiste ertönt ein leises Tapsen. Papa untersucht das Paket, als würde es eine Bombe enthalten. „Da ist ein Brief dran geklebt“, ruft er. „An Julia und Käpten.“
Weil Julia nicht lesen kann, schnappe ich den Brief, reiße ihn auf und fange an zu lesen.
„Was steht da?“, fragt Julia.
Ich starte noch mal von vorne, diesmal laut. Die schnörkelige Schrift ist echt schwer zu lesen.
Starnberg, am 12. Juni
Liebe Julia, lieber Käpten,
ich habe von euren Heldentaten gehört und wollte euch berichten, wie es hier weiter gegangen ist. Ihr hattet mir ja netterweise eure Adresse aufnotiert.
Von Weihenstein musste eine hohe Geldstrafe an das Tierheim in Starnberg bezahlen. Er sitzt aber nicht im Gefängnis, weil der Hund, Gott sei es gedankt, nicht gestorben ist. Der Tierarzt hat sein Herrchen ausfindig gemacht. Nun springt der Hund wieder quietschfidel am Ufer herum.
Von Weihenstein ließ einen hohen Zaun um sein Hotel bauen. Jetzt hat er vor den Hunden Ruhe, vor allem aber die Hunde vor ihm.
Brockmann ist nicht mehr sein Gärtner. Er hat jetzt Auftritte auf Bühnen, erzählt komische Sachen und die Leute lachen sich über ihn kaputt. Neulich war er sogar im Fernsehen. Aber wenn ihr mich fragt, hat der Mann einfach nur was am Sträußchen.
Mein Gips ist ab. Aber ich werde langsam alt. 53 Katzen sind mir doch ein bisschen zu viel. Ich schicke euch mal die mit, die Julia am meisten mochte. Katzen sind sehr selbständig und pflegeleicht. Das wird auch euer Papa einsehen. Sie ist schon geimpft. Ihr müsst nur noch einen Namen aussuchen!
Viele Grüße, Rosi Sander
Julia reagiert als erste. Sie öffnet den Deckel der Box, und etwas Graugetigertes schießt aus der Kiste. Das Kätzchen springt auf einen Sessel und von dort auf einen kleinen Tisch. Auf ihm steht unser Globus. Die Katze springt auf die Kugel und die Minierde fängt an sich zu drehen. Panisch rennt das Tier los wie ein Hamster im Rad. Gerade, als ihre Hinterpfoten im Pazifik stecken, rutscht der Globus vom Tisch. Mit einem todesmutigen Sprung rettet sie sich auf den Schrank.
„Komm runter, Sack Zement verflixt noch mal!“, schimpft meine Schwester.
Die Katze hört auf sie und schnurrt kurze Zeit später auf Julias Arm. Meine Schwester strahlt selig.
„Wie soll sie denn heißen?“, fragt Mama. Damit steht eigentlich schon fest, dass die Katze bleiben darf.
„Hat Julia doch eben schon gesagt“, beantworte ich Mamas Frage.
Acht Menschen- und zwei Katzenaugen schauen mich fragend an.
Da geht ein Grinsen über Opas Gesicht.
„Ist der Name nicht ein bisschen zu lang?“, fragt Opa.
Ich schüttele den Kopf und sage: „Die Katze wird sich schon daran gewöhnen.“
Julia krault das Kätzchen und flüstert ihr ins Ohr: „Sack Zement verflixt noch mal!“
„Genau!“, sage ich.
Haarmoni
Das ist ein sehr guter Krimi für Kinder. Toll finde ich, dass Käpten seine Schwester als Assistentin mitnimmt. Und natürlich das Happy End mit dem kleinen Wollknäuel ?
Tanja
Eine sehr spannend erzählte, kurzweilige Geschichte auch für Mädchen! Es hat sehr viel Spaß gemacht in diese Welt einzutauchen. Käpten ist ein toller, mutiger Junge, mit dem ich gerne befreundet wäre.
Monika
Ich hab schon mehrere Krimis von Käpten gelesen.Die Geschichten sind extra lang und das finde ich gut.?
Maik
Wir haben jeden Tag ein Kapitel vor den Einschlafen gelesen. Beide Kinder sind begeistert.
Vielen Dank
Lukas.10
Sehr spannende Geschichte und ein sehr guter Krimi
Lenny Fenne
Sehr schöne Geschichte. Ich mag sie. Fünf Sterne von mir.
Liebe Grüsse, Lenny