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Die Ampelmännchen

Ein rotes und ein grünes Ampelmännchen lebten in einer Fußgängerampel. Sie zeigten den Fußgängern, ob sie auf dem Bürgersteig stehen bleiben müssen oder ob sie über die Straße gehen können. Die Ampelmännchen taten dies zu jeder Stunde, jeden Tag und jede Nacht.
Während der eine kurz in der Ampel ausruhte, regelte der andere draußen den Verkehr. Beim roten Ampelmännchen, mit seinen angelegten Armen und Beinen wie bei einem Wachsoldaten, blieben alle Fußgänger stehen. Na ja, fast alle.
War der Grüne dran, mit seinen schwungvollen Armen und weit ausschreitenden Beinen, gingen die Fußgänger wieder los.

Der Rote und der Grüne kannten sich nicht, obwohl beide in der selben Ampel wohnten. Aber wie sollten sie auch? Denn einer der beiden war ja immer in der Ampel, während der andere draußen leuchtete. Sie wussten nur von dem Kollegen in der Ampel auf der anderen Straßenseite, der gleichzeitig mit ihnen den Verkehr regelte. Der Grüne sah immer den anderen Grünen, der ebenfalls ging. Der Rote sah immer den anderen Roten, der ebenfalls stand. Manchmal, wenn kein Fußgänger zu sehen war, zwinkerten sie sich heimlich zu.

Eines Tages fiel der Strom aus. Die Ampel zeigte weder Rot noch Grün und die Ampelmännchen waren deshalb zum ersten Mal gleichzeitig in der Ampel.
„Huch, hast du mich erschreckt!“, rief der Rote überrascht.
„Was machst du in meiner Ampel?“, polterte der Grüne los.
„Deine Ampel? Das ist meine Ampel!“, antwortete der Rote.
„Du spinnst doch! Und warum siehst du aus wie eine Tomate? Bist du krank?“, fragte der Grüne.
„Siehst selbst aus wie matschiger Spinat und fragst mich, ob ich krank bin?“ Der Rote bekam vor Aufregung einen noch röteren Kopf.
„Mach dich mal locker!“, sagte der Grüne. „Du stehst so steif rum, als wärest du tiefgefroren.“
„Ich zeige Haltung! Im Gegensatz zu dir mit deinen schlabberigen Armen und Beinen“, sagte der Rote.
„Schlabberig? Papperlapapp! Ich zeige den Menschen, dass sie gehen dürfen. Und jetzt darfst du auch gehen. Nämlich aus meiner Ampel“, rief der Grüne.
„Hast du gehen gesagt?“ Der Rote fing an zu kichern. „Du hast scheinbar auch Spinat im Gehirn. Menschen gehen nicht. Sie stehen!“
„Und du hast Tomaten auf den Augen. Menschen gehen!“, sagte der Grüne.
„Die Menschen stehen, wenn ich durch die obere Tür nach außen gehe!“, rief der Rote.
„Die Menschen gehen, wenn ich durch die untere Tür nach außen gehe!“, rief der Grüne.
„Menschen stehen!“, brüllte der Rote.
„Menschen gehen!“, brüllte der Grüne zurück.
„Sie stehen!“
„Sie gehen!“
Erschöpft rangen beide nach Atem.

„Ich habe eine Idee. Wenn der Strom wieder fließt, schaust du über meine Schulter, wenn ich draußen leuchte“, schlug der Rote vor. „Dann wirst du sehen, dass ich Recht habe: Menschen stehen.“
„Abgemacht, aber nur, wenn auch du über meine Schulter schaust“, sagte der Grüne. „Dann wirst du sehen, dass ich Recht habe: Menschen gehen.“
Da ertönte ein leises Brummen.
„Der Strom ist wieder da. Ich muss raus!“, rief der Rote aufgeregt. Der Grüne huschte hinterher und schielte durch die angelehnte obere Tür nach draußen.
„Ich fasse es nicht!“, staunte der Grüne. „Die Menschen stehen!“
„Siehst du“, rief der Rote triumphierend, „ich habe Recht!“
Ein Klicken in der Ampelschaltung signalisierte das Ende der Rotphase.
„Ich bin dran!“, rief der Grüne und rannte durch die untere Tür nach draußen. Der Rote huschte hinterher und spähte neugierig über die Schulter des Grünen.
„Das glaube ich nicht!“, murmelte der Rote. „Die Menschen gehen!“
„Siehst du“, rief der Grüne triumphierend, „ich habe Recht!“

Da fiel der Strom erneut aus, die Ampel leuchtete weder rot noch grün und die Ampelmännchen trafen sich abermals in der Ampel.

„Merkwürdig, schon wieder ein Stromausfall. Das passiert sonst nie!“, staunte der Grüne.
„Noch merkwürdiger ist, dass Menschen gehen und stehen. Das hätte ich nie gedacht!“, wunderte sich der Rote.
„Dann hatten wir ja beide Recht. Tut mir leid, dass ich gesagt habe, du hättest Tomaten auf den Augen“, sagte der Grüne.
„Und du hast keinen Spinat im Gehirn, entschuldige bitte!“, sagte der Rote und hielt dem Grünen die Hand hin.
Der Grüne schlug ein.
„Könntest du mir einen Gefallen tun, wenn der Strom wieder fließt?“, fragte der Grüne.
„Gerne, welchen denn?“, fragte der Rote.
„Ich möchte mal meinen grünen Kollegen auf der anderen Straßenseite besuchen!“, sagte der Grüne.
„Wie kann ich dir dabei helfen?“, fragte der Rote.
„Du kannst mich vertreten und für mich mitleuchten. Du leuchtest rot wie immer, aber auch grün. Häng dir einfach ein grünes Mäntelchen über, wenn du durch meine Tür nach außen gehst. Und steh dann nicht so steif rum, sondern bring die Arme und Beine in Bewegung.“
„Ich werde es versuchen“, versprach der Rote.

Der Rote probierte es und es funktionierte ganz gut. So konnte der Grüne aus der Ampel klettern, am Mast herunterrutschen und das grüne Ampelmännchen auf der anderen Straßenseite besuchen.
Und falls du mal an eine Fußgängerampel kommst, bei der das Grün einen leichten Rotstich hat, pass bitte ganz genau auf, wo du hintrittst. Dann ist nämlich das grüne Ampelmännchen wieder unterwegs zu seinem Kollegen auf der anderen Straßenseite. Nicht, dass du ihm versehentlich auf die Füße trittst.

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